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Von Islamisten und Superchristen

Von Werner Stanzl

Gastkommentare

Falls die Seligpreisungen der Bergpredigt die Quintessenz der Frohbotschaft sind, kann christlicher Fundamentalismus niemals als Motiv eines Killers herhalten.


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Der Serienkiller von Norwegen sei wohl ein christlicher Fundamentalist, spekulieren Europas Medien seit Tagen und ticken dabei so: Wenn Islamisten Kränkungen ihres Propheten durch Köpfen und Autobomben sühnen, muss wohl ein getaufter abendländischer Massenmörder, dem es ganz offensichtlich nicht um Materielles ging, als christlicher Fundamentalist gehandelt haben. Mit Logik hat dies wenig zu tun. Denn wie soll das zusammenpassen, Killen und christlicher Fundamentalismus?

Wahr ist, dass viel im Namen Christi getötet wurde. Doch schon der zweite Blick in die Geschichte offenbart Macht- und Geldsucht als wahres Motiv. Wahr ist weiter, dass die Berufschristen wilde Geschichten aus der Bibel der Juden als Teil ihrer Lehre in ihren Gottesdiensten offenbaren. So wird etwa bei der Auferstehungsfeier am Karsamstag, dem Höhepunkt des Kirchenjahres, mit "Wort Gottes" als Quellenangabe geoffenbart, dass . . .

der liebe Gott in sechs Tagen die Welt erschaffen hat und am siebenten ruhte (Moses 1/1-31 und 2/1-2);

Gott feststellen musste, dass sein Werk doch nicht so gut war, weshalb er bis auf Noahs Sippe alle in einer Sintflut absaufen ließ (Moses 1/5,6,7 und 8);

Gott Abraham so zum Spaß befahl, Ihm seinen einzigen Sohn Isaak zu opfern (Moses 1/22, 1-19);

Gott "zur Zeit der Morgenwache" das Heer der Ägypter vernichtete und - doppelt hält besser - das bereits vernichtete Heer im Meer ertränkte (Moses 2/14,24-31 und 15,1).

Wer darin den Christengott zu erkennen glaubt, der wird auch den Täter von Oslo als christlichen Fundamentalisten etikettieren. Womit der Verdacht bestätigt wird, dass abendländische Journalisten von ihrer Kultur bisweilen nur Bruchteile intus haben. Daher sei hier der gravierendste Unterschied zwischen Bibel, Islam und (Froh-)Botschaft des Christentums in Erinnerung gerufen.

Das Neue Testament wurde - so viel ist gesichertes Wissen - etliche Dezennien nach den darin geschilderten Ereignissen verfasst. Wenig aber wissen wir von der Hauptfigur, einem gewissen Jesus von Nazareth. Es ist nicht einmal erwiesen, ob er je wirklich lebte. Doch eines wissen wir mit Sicherheit: Zwischen Caesar und Kaiser Nero, als der Wert eines Menschenlebens seinen Tiefpunkt erreicht hatte und das Töten als Zirkusspiel mit Standing Ovations bejubelt wurde, gab es einen, der lehrte:

Wer dich auf die rechte Backe schlägt, dem biete auch die andere dar.

Wer mit dir vor Gericht gehen und deinen Rock nehmen will, dem lass auch den Mantel.

Gib dem, der dich bittet.

Liebt eure Feinde, segnet die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, und betet für die, die euch beleidigen und verfolgen.

Einer der ganz wenigen, die es fertig brachten, sich nicht nur zu diesen Maximen zu bekennen, nicht nur danach zu leben, sondern auch danach zu wirken, war der Hindu Mahatma Gandhi. Und wie er wirkte!

Deshalb ist es grotesk, einen Killer als "christlichen Fundamentalisten" zu etikettieren.

Werner Stanzl ist Publizist und Dokumentarfilmer.

Die Tribüne gibt ausschließlich die Meinung des betreffenden Autors wieder und muss sich nicht mit jener der Redaktion der "Wiener Zeitung" decken.