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Von Islamophobie bis Islamismus

Von Stefan Beig und Thomas Müller

Politik

Wo liegen die Grenzen zwischen berechtigter Kritik und Feindschaft? | Gesammelte Berichte im Islamophobie-Jahrbuch. | Wien. Frauen, die wegen eines Kopftuchs beschimpft werden, Parteien, die das Abendland gegen den Islam verteidigen wollen: Dafür hat sich, neben der Fremdenfeindlichkeit, in der Sozialwissenschaft der Begriff Islamfeindlichkeit oder Islamophobie etabliert. Mittlerweile setzt sich die Wissenschaft verstärkt mit dem Phänomen auseinander. Der deutsche Soziologe Wilhelm Heitmeyer definiert es als Ablehnung oder Angst angesichts von "Muslimen, ihrer Kultur und ihren politischen und religiösen Aktivitäten".


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Das erste "Jahrbuch für Islamophobieforschung", das sich auf den deutschsprachigen Raum konzentriert, hat heuer der Politikwissenschafter Farid Hafez herausgegeben. Künftig soll es jedes Jahr erscheinen. In einem Beitrag hat sich Hafez der FPÖ angenommen. "Wir können von einer bewusst eingesetzten Islamfeindlichkeit einer politischen Partei, die Ängste schaffen will, um zu mobilisieren, sprechen", erklärt er. "Die islamophoben Strategien der FPÖ sind leicht zu entlarven. Es geht um Verallgemeinerung, Ausgrenzung von Muslimen, mindere Betrachtung dieser und schlussendlich eine Beschneidung der Freiheitsrechte der muslimischen Minderheiten", so der Autor und verweist dabei auf Forderungen nach Kopftuch- und Minarettverbot. Hafez meint, dass auch die Medien Islamophobie erzeugen könnten, "vor allem bei Menschen, die nie persönlich Kontakt zu Muslimen gehabt haben".

Auf Diskriminierungen im Alltag hat sich Alexander Steffek vom Dokumentationsarchiv für Islamophobie in seinem Jahrbuchbeitrag konzentriert. "Wir sind häufig mit Fällen konfrontiert, wo kopftuchtragende Frauen heftigen Herabwürdigungen und Beleidigungen ausgesetzt sind. Sie leiden an Diskriminierung beim Zugang zum Arbeitsmarkt, Bildung, Gütern und Dienstleistungen", erzählt Steffek. "Ihnen wird die Bedienung beziehungsweise der Einlass in einem Lokal verweigert oder die Möglichkeit, in einem Geschäft einzukaufen."

Gerade hier sei es aber oft schwer, eine Diskriminierung auf Grund der Religionszugehörigkeit nachzuweisen. Vor Gericht kämen eher Fälle aus dem Arbeitsmarkt, wie jener der Ärztin, die eine Stelle im Kurbad nur bekommen sollte, wenn sie auf ihr Kopftuch verzichtet. Um ein Urteil zu verhindern, bot die Anstalt schließlich einen Vergleich an. Eine übliche Vorgangsweise, weiß Steffek: "In den meisten Fällen, wenn es überhaupt so weit kam, dass Diskriminierungsopfer den Schritt zur Gleichbehandlungsanwaltschaft wagten, wurden außergerichtliche Einigungen erzielt. Es gibt daher keine ausjudizierten Fälle."

Studien zum Thema enthält auch das vom deutschen Politik- und Islamwissenschafter Thorsten Gerald Schneiders herausgegebene Buch "Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen". Neben Exkursen in Internetforen, in denen sich einige besonders hemmungslos austoben, werden auch Umfragen in der deutschen Bevölkerung vorgelegt. 2005 bejahten etwa 23,7 Prozent die Aussage: "Die hier lebenden Muslime bedrohen unsere Freiheiten und Rechte." 24,3 Prozent erklärten: "Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden." Im Jahr 2009 wünschten sich das immerhin nur mehr 21,5 Prozent.

Alteuropäische Ängste

Stark zugenommen haben dürfte die Angst vor dem Islam seit dem 11. September. 47 Prozent der Deutschen erklärten 1997 in einer Umfrage, vor dem Islam Angst zu haben. 2006 äußerten ganze 80 Prozent die Meinung, dass der Islam eine fanatische und gewalttätige Religion sei. Der evangelische Theologe Thomas Neumann meint, dass die "verstärkte Präsenz von Muslimen und der islamistische Terrorismus alteuropäische Ängste und Feindbilder wieder an die Oberfläche gebracht" hätten. In einem historischen Streifzug zeigt er auf, wie "der Islam als Religion und islamische Machtzentren in der europäischen Wahrnehmung stets als Gegenbilder zur eigenen Identität und christlicher Werte konstruiert wurden".

Einige Beobachter beklagen, dass mit dem Islamophobie-Vorwurf auch sachlicher Kritik am politischen Islam begegnet wird. Thorsten Gerald Schneiders selbst betont, dass "manche Muslime eine bisweilen dogmatische Verteidigungshaltung verfolgen, der zufolge jede Form von Kritik reflexartig abgelehnt wird". Sein Buch helfe "unberechtigte von berechtigter Kritik" zu trennen. Und er hat auch einen weiteren Band dazu vorgelegt: "Islamverherrlichung. Wenn die Kritik zum Tabu wird". Er ist ebenfalls im VS-Verlag Wiesbaden erschienen.

Das Buch dokumentiert etwa, dass klassisch-islamische Konzepte heutzutage Konfliktpotenzial bergen. Ein Beitrag vom Freiburger Islamwissenschafter Abbas Poya beleuchtet kritisch die Stellung von Religions- und Meinungsfreiheit im Islam und weist dabei auf die Wichtigkeit einer Öffnung zur Vernunft hin. Die Historikerin Juliane Wetzel zeigt Antisemitismus unter Muslimen in Deutschland auf, der Islamwissenschafter Wendelin Wenzel-Teuber beleuchtet die Rolle des einflussreichen TV-Predigers Yusuf al-Qaradawi, der "seinem Werdegang und ideologischen Hintergrund nach zur Muslimbruderschaft gehört". Al-Qaradawi beschreibe "den Islam als umfassendes System von Regeln und Vorschriften, das selbst in Bereichen gelten soll, die es ausdrücklich nicht regelt". Dabei sehe al-Qaradawi nur sich selbst und einige andere Rechtsgelehrte zur Neuinterpretation von religiösen Texten befugt. Wenn er solche vornimmt, tue er das "in seinem Sinne".

Grenze zu berechtigter Kritik

Laut Farid Hafez ist die Grenze zu berechtigter Kritik klar: "Wenn etwa ein konkret erwähnter Imam für seine Aussagen kritisiert wird, ist das vollkommen legitim." Wer jedoch pauschal vom "Islam" oder "den Muslimen" spreche, verneine bereits deren innere Vielfalt. Bei Problemlösungen helfe es auch nicht, Muslime auf deren Religion zu reduzieren: "Vielmehr gilt es zu erforschen, welche Rolle der Religion als Ursachenfaktor tatsächlich zukommt und ob nicht sozio-ökonomische oder andere Faktoren Ursachen für bestimmte Defizite sind."

Dass die Kritik an religiösen Organisationen unter Islamophobie-Verdacht geraten könnte, sieht Steffek derzeit nicht als Problem: "Was uns Sorgen bereitet, ist, dass die Diskussion zum Islam in Österreich zumeist nicht an konkrete Ansprechpartner gerichtet ist, sondern auf abstrakter Ebene stattfindet und eher an die Mehrheitsgesellschaft gerichtet ist."