Ministerpräsident Enrico Letta gewinnt Vertrauensvotum, Berlusconi lenkt ein.
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Rom/Frankfurt. Die Regierungskrise in Italien ist vorerst beendet. Der Senat sprach Ministerpräsident Enrico Letta am Mittwoch mit überwältigender Mehrheit das Vertrauen aus, nachdem dessen Widersacher Silvio Berlusconi kurz vor dem Votum eine Kehrtwende vollzogen und seine Unterstützung angekündigt hatte. Im Senat stimmten 235 Parlamentarier für den Premier, 70 gegen ihn. Am Abend stellte sich auch eine klare Mehrheit im Abgeordnetenhaus hinter Letta. Nach wochenlangen Drohungen gegen die Exekutive lenkt Silvio Berlusconi auf Druck der Überläufer doch noch ein. Seine Partei "Volk der Freiheit" (PdL) gleicht einem Scherbenhaufen.
Es ist kurz nach Mittag im italienischen Senat. Silvio Berlusconi erhebt sich von seinem samtbezogenen Sessel. Der Gründer der PdL ergreift in der Aula des Palazzo Madama das Wort. Ans Revers seines Zweireihers hat er bereits die Plakette seiner neuen, alten politischen Bewegung "Forza Italia" geheftet, die die bisherige Partei ersetzen soll. Dann dringen Sätze aus seinem Mund, die ein paar Stunden zuvor kaum jemand für möglich gehalten hätte. "Nicht ohne innere Wehen haben wir entschieden, dieser Regierung unser Vertrauen auszusprechen." Den Bruchteil einer Sekunde, die dem Unglauben gehört, ist es still.
Dann brandet Applaus in den Reihen hinter Berlusconi auf. Seine Nebenleute schütteln dem 77-Jährigen die Hand, der seit zwei Monaten die italienische Politik in Atem hält und offenbar keineswegs vorhat, seinen Würgegriff zu lösen. Allerdings erlebt Berlusconi an diesem Tag ein seltenes Gefühl der Machtlosigkeit. Am Vormittag gehen 23 PdL-Senatoren aus der Berlusconi-Allianz an die Öffentlichkeit und kündigen ihr Ja für Premier Letta an. Die Regierung kann auch ohne den vierfachen Ex-Premier weiter bestehen, das steht zu diesem Zeitpunkt bereits fest. Auf Berlusconi und die Seinen kommt es nicht mehr an.
So erklärt sich auch das beinahe höhnische Lächeln von Ministerpräsident Letta auf der Regierungsbank, als Berlusconi sein Vertrauen ankündigt. "Grande!", entfährt es ihm ironisch, "ein Großer!" Neben ihm sitzt PdL-Parteisekretär Angelino Alfano mit ernster Miene, die auf schwere Spannungen der letzten Stunden hindeutet. Er stand lange im Schatten seines politischen Übervaters, wirkte oft hilflos und wie eine Marionette Berlusconis. Jetzt sind er und die anderen Überläufer das Zünglein an der Waage.
Ein schwaches Ja, ein Bluff?
Berlusconis überraschende Erklärung am Mittwoch interpretieren die meisten als Bluff, der die innere Spaltung seiner Partei kaschieren soll. Das Ja für Letta könnte der Versuch sein, den Machtverlust so gering wie möglich zu halten und die Überläufer, deren genaue Zahl man nicht kennt, zur Rückkehr zu bewegen. Sind es mehr oder weniger als die 23 Senatoren, die am Vormittag ihre Abtrünnigkeit bekannten? Die Berlusconi-Partei ist jedenfalls nicht mehr dieselbe. Ex-Fraktionschef Fabrizio Cicchitto beantragt am Nachmittag die Gründung einer neuen Fraktion im Abgeordnetenhaus. Auch hier gibt es Überläufer.
Vor allem zwei Faktoren machten die Zerreißprobe unumgänglich. Zum einen die Art, wie Berlusconi in der Manier eines Firmenchefs die Regierungskrise ausgelöst hatte, ohne Mandatsträger seiner Partei in die Entscheidung, den Rücktritt der Minister, mit einzubeziehen. Der zweite Faktor war die Sorge um die politische Stabilität, deren Fehlen verhängnisvoll für die ökonomische Situation hätte werden können. Ein Teil der Partei hielt Berlusconis Aktion für verantwortungslos. Der Eindruck, dem viermaligen Ministerpräsidenten gehe es nur um persönliche Interessen in seinem Kampf um Straffreiheit, hatte auch sie erfasst.
Letta und sein Vizepremier, Innenminister Alfano, bilden nun die neue Allianz, die Italiens Regierung trägt. Wie stark das alte Bündnis angesichts der neuen Kräfteverhältnissen wirklich ist, muss sich aber erst noch zeigen.
Euro zieht weiter an
Eine gute Sache hat die Regierungskrise in Italien aber gehabt. Zumindest lassen die Worte von Lettas Landsmann, des Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, diesen Interpretationsspielraum zu. Obwohl er nicht pflege, einzelne Länder zu kommentieren, sagte Draghi bei einer Pressekonferenz zum EZB-Zinsentscheid, könne er doch sagen, dass man in Italien nun eine Periode der Instabilität gesehen hat, genauso wie in Griechenland und in Portugal. Aber, und nun kommt die gute Nachricht, diese Krisen haben "das Fundament der Eurozone diesmal nicht wirklich erschüttert. Die Eurozone ist heute widerstandsfähiger als noch vor ein paar Jahren", zu Beginn der Krise. Und wirklich: Mit 1,3591 Dollar erreichte der Euro am Mittwoch zeitweise ein neues Acht-Monats-Hoch.
Fairerweise muss man erwähnen, dass es nicht nur am Euro alleine liegt, sondern sich der Dollar-Kurs angesichts der derzeitigen Lahmlegung der US-Regierung nicht besonders prächtig entwickelt. Von den USA könne ein Risiko für die Weltwirtschaft ausgehen, sollte die Lage sich verschärfen oder länger andauern, warnte Draghi. Allerdings gehe er davon aus, dass der Streit beigelegt werden könne und es nicht zu einer Pleite der USA kommt. Allerdings: "Der Euro-Dollar-Wechselkurs ist keine Zielmarke für die EZB. Das geldpolitische Ziel der EZB ist Preisstabilität auf mittlere Sicht", kommentierte Draghi die Entwicklungen. Man behalte den Dollar aber im Blick.
Das Erstarken des Euro wurde aber auch dadurch angekurbelt, dass Draghi am Mittwoch klargemacht hatte, die EZB sei angesichts der schwachen Konjunktur weiterhin entschlossen, notfalls in die Vollen zu gehen.
"Alle Instrumente einsetzen"
Auf die Frage eines Journalisten, welche Instrumente denn der EZB so vorschweben, kramte Draghi lange in seinen Zetteln, um sein genaues Zitat vom Vormonat wieder zu geben. Zwar fand er das gesuchte Blatt nicht, konnte sich aber so weit erinnern, dass er erneut die Kernformel gebetsmühlenartig wiederholte, die EZB sei "bereit, alle Instrumente einzusetzen, die uns zur Verfügung stehen". So habe der EZB-Rat bereits über eine weitere Zinssenkung und die Möglichkeit neuer milliardenschwerer Geldspritzen für Europas Banken debattiert.
Letztlich entschieden sich die Währungshüter aber, den Leitzins bei 0,5 Prozent zu belassen - ohnehin schon ein Rekordtief. "Wir haben eine Menge Optionen", ergänzte Draghi. "Wir werden so handeln, wie es für die Geldmärkte angebracht ist."
Die wirtschaftliche Erholung sei nur "schwach und fragil". Die Euro-Zone ist gerade erst aus der Rezession herausgekommen und im Frühjahr 2013 erstmals seit eineinhalb Jahren wieder leicht gewachsen. Allerdings sind die Unterschiede sehr groß. Während Deutschland kräftig zugelegt hat, schrumpft die Wirtschaft noch in Ländern wie Spanien und Italien.
Offen ließ Draghi, wie es mit einer neuen Geldspritze für europäische Banken aussieht. Ende 2011 und Anfang 2012 hatten sich Banken bei der EZB insgesamt mehr als eine Billion Euro für die ungewöhnlich lange Frist von bis zu drei Jahren geborgt. Inzwischen ist der Großteil zurückgezahlt, doch die Lage vieler Geldhäuser ist nach wie vor kritisch. Zudem treibt die Rückzahlung der Zentralbankgelder die Kreditraten am Markt für kurzfristige Geldleihen. Dies könnte die einsetzende wirtschaftliche Erholung abwürgen. Draghi betonte zwar, seit Sommer 2012 hätten sich die Finanzierungsbedingungen für Banken "deutlich" verbessert. Doch niemand wolle, dass die Erholung der Konjunktur dadurch behindert werde, dass den Banken die Liquidität für Kredite fehle.
Liquidität nur ein Pflaster
Die Liquidität sei aber kein Ersatz für mangelndes Kapital, mahnte Draghi. Er versuchte auch, die Angst vor einem Überschuss an Liquidität zu zerstreuen: "Niemand will zwischen jetzt und dem Zeitpunkt der wirtschaftlichen Erholung ein Unfall mit der Liquidität erleben." Derzeit gebe es nun einmal viel Liquidität, um der Eurozone dabei zu helfen, die derzeit herrschende Fragmentierung der nationalen Wirtschaften zu beheben.
Draghi glaube im Übrigen nicht, dass der Stresstest für die Banken - die EZB will in der zweiten Oktoberhälfte erklären, wie sie die Bilanzen der Banken durchleuchten und die Krisentauglichkeit der Institute überprüfen will - zu einer Katastrophe, oder, wie es Draghi formuliert, einem "Desaster" führen wird. Beobachter zittern nämlich davor, dass die eine oder andere Leiche in den Bilanzen gefunden wird und die Märkte erneut erschüttert. "Ich glaube, dass, wenn man das Bankensystem durchleuchtet, wird es vor allem helfen, das Vertrauen wieder herzustellen", gibt sich Draghi optimistisch gegenüber seinen künftigen Schützlingen: Die neue EZB-Bankenaufsicht soll in einem Jahr, Herbst 2014, starten.
Dass die Eurozone heute viel besser dastehe als noch vor ein paar Jahren, schreibt Draghi auch den Bemühungen der Regierungen im vergangenen Jahr zu, Strukturreformen voranzutreiben. Er appellierte an die Regierungen, den Kurs fortsetzen soll, um sich in Zukunft weniger angreifbar an den Märkten zu machen. Das Teflon hält nicht ewig.