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Von Kissinger und Brzezinski lernen

Von David Ignatius

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Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

Kaum jemals hat eine kriegsmüde US-Öffentlichkeit so dringend einen gerissenen Strategen zum Sondieren neuer Möglichkeiten gebraucht wie heute.


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Die zwei modernen US-Meister Machiavellischer Diplomatie, Henry Kissinger und Zbigniew Brzezinski, praktizierten ihre Kunst zu einer Zeit, die unserer jetzigen vergleichbar ist: Der Meinungsumschwung in Sachen Krieg und der Verlust an Vertrauen in die politische Führung des Landes machte den USA damals wie heute zu schaffen.

Es ist also ein interessantes Gedankenexperiment, sich einen nationalen Sicherheitsberater mit dem geheimnisumwitterten Stil eines Kissinger oder Brzezinski für die heutige diplomatische Agenda der USA vorzustellen. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Mir geht es nicht um die tatsächliche Politik der beiden, sondern um den kreativen Zugang, den man sich von ihnen in schwierigen Zeiten erwarten durfte. Und wenn ich kreativ sage, meine ich zum Teil durchaus auch verschlagen.

Kissinger und Brzezinski gaben keineswegs immer öffentlich zu, was sie hinter den Kulissen trieben. Nach dem arabisch-israelischen Krieg von 1973 richtete Kissinger Geheimdienstverbindungen zur PLO ein, während er sie gleichzeitig als terroristische Organisation brandmarkte. Und ähnliche geheime Verhandlungen umgaben den gesamten arabisch-israelischen Friedensprozess. Nicht alle von Kissingers Machenschaften waren erfolgreich, aber er öffnete für die vom Vietnamkrieg geschwächten USA Raum und Möglichkeiten.

Auch Brzezinski war ein Meister des Verbergens. Als die Sowjetunion in Afghanistan einmarschierte, baute Brzezinski eine Geheimdienst-Allianz mit China und Pakistan auf, um die Sowjets zu kontrollieren. Auch in diesem Fall machen uns heute noch manche Folgen zu schaffen - obwohl es die Sowjetunion nicht mehr gibt.

Lassen Sie uns nun sehen, wie man diese Vorgangsweisen auf vier der heutigen Problemgebiete anwenden könnte: auf den Irak, das arabisch-israelische Chaos, die indisch-pakistanische Sackgasse und das Endspiel in Afghanistan.

Im Irak geht es darum, dass die USA nach dem chaotisch geführten Krieg nun mit möglichst wenig Gewalt zu politischen Ergebnissen kommen müssen. Bleibt nur zu hoffen, dass die CIA im Hintergrund beim Kontakteknüpfen fleißig war. Auch was die Palästinenser betrifft, müssten sich die USA um geheime diplomatische Kontakte bemühen, zum Beispiel mit Israel, Syrien, dem Libanon, Jordanien und sogar mit der Hamas. Wenn die Hauptstraße blockiert ist, wird es Zeit, neue Wege zu testen.

Die Pattsituation zwischen Indien und Pakistan liegt seit Jahren in der Zu-schwierig-Schublade. Indiens Premier Singh wünscht sich eine Einigung, die USA müssten also Pakistan zu entsprechenden Schritten bewegen, subtil, um mehr Sicherheit für beide Länder zu schaffen.

Und dann wäre da noch die Herausforderung in Afghanistan. Die Ankunft von General David Petraeus ist dabei ein nützlicher Faktor X. Letztlich wird es aber auf Geheimkontakte mit versöhnungswilligen Feinden ankommen, wie im Irak, wo sich Petraeus als Meister dieser Kunst erwiesen hat.

Wer weiß, vielleicht sind alle diese diplomatischen Korkenzieher schon im Einsatz. Es liegt in der Natur erfolgreicher Geheimdiplomatie, dass man nichts von ihr erfährt, solange sie nicht beendet ist - und möglicherweise nicht einmal dann. Aber kaum jemals hat eine kriegsmüde US-Öffentlichkeit so dringend einen gerissenen Strategen zum Sondieren neuer Möglichkeiten gebraucht. Wer könnte diese Rolle in der jetzigen US-Regierung übernehmen? Diesem Problem sollte sich Präsident Obama zuwenden.

Übersetzung: Redaktion Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post". Originalfassung