)
Erst Geldscheine und Kontakte öffnen Türen zu Schule, Job oder Krankenhaus. | EU-Aufpasser zur Sprengung des Klientel-Systems. | Wien. Dass die Korruption eine Hauptursache der griechischen Schuldenkrise darstellt, ist mittlerweile längst über die Straßen Athens hinaus bekannt. Zwischen Thessaloniki und Heraklion hat sich seit langem eine "Klientel-Gesellschaft" eingerichtet, schildert der Griechenlandexperte Heinz Richter. Ohne das "Fakelaki" - den Briefumschlag mit "Beschleunigungsgeld" - läuft fast nichts bei den Hellenen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wer in einem staatlichen Krankenhaus operiert werden möchte, muss den Ärzten einen gewissen Betrag in den Mantel stecken. Andernfalls muss er monatelang auf einen OP-Termin warten.
"Schüler sind darauf angewiesen, am Nachmittag private Nachhilfeschulen zu besuchen. Die Lehrer, denen diese gehören, bringen den Jugendlichen am Vormittag im öffentlichen Unterricht kaum etwas bei", sagt Richter. Gleichzeitig könne in Griechenland niemand aufsteigen, ob in der Politik, im Staatsdienst oder in der Wirtschaft, der keinen "Koumparos" hat, keinen einflussreichen Paten oder einen der Familie verpflichteten Freund.
Bestätigt werden diese Praktiken durch den Korruptionsbericht 2009 von Transparency International: Neben Bulgarien und Rumänien zählen die Hellenen zu den korruptesten Ländern der EU. Auch der Pleite-Kandidat Italien taucht im Schlussfeld auf, Spanien und Portugal hingegen im Mittelfeld. Die OECD schätzt die Verluste durch die griechische Schattenwirtschaft auf rund 65 Milliarden Euro jährlich.
"Bushaltestelle nachjeder Wahl verlegt"
Die Hoffnung internationaler Beobachter ist groß, dass mit dem Regierungswechsel in Athen das Bakschisch-Problem beseitigt wird: "Wir müssen die Korruption bekämpfen, sonst wird sie uns fertig machen," gestand Ministerpräsident Giorgios Papandreou bei seinem Amtsantritt vergangenen Herbst ein.
Seine Reformpläne sehen unter anderem vor, dass alle Entscheidungen von Ministerien und Behörden künftig im Internet dokumentiert werden müssen. Dadurch soll für mehr Transparenz bei Vergaben gesorgt werden. Weiters will Papandreou Verwaltungsabläufe vereinfachen und Änderungen beim Wahlgesetz durchführen.
Das sogenannte Vorzugskreuz soll abgeschafft und die Wahlkreise verkleinert werden, um Manipulation durch großzügige Wahlversprechen zu verhindern.
"Bisher haben sie oftmals sogar eine Bushaltestelle verlegt, wenn die Partei neu gewählt wurde", erzählt Richter. Der deutsche Historiker glaubt nicht, dass die Maßnahmen ausreichen, um die Korruption einzudämmen. Der Regierungswechsel bedeute lediglich, dass nun wieder das andere Klientel Zugriff auf die Staatskassen habe. So wie sein Vorgänger kommt auch Papandreou aus einer der beiden großen griechischen Politikerdynastien, die in Griechenland schon seit Jahrzehnten abwechselnd an der Macht sind. "Was bringen Steuererhöhungen, wenn kaum ein Bürger die Mehrwertsteuer bezahlt?", hinterfragt Richter das Sparprogramm. Der einzige Ausweg aus dem Klientel-System führe über EU-Kontrollen. "Es braucht vor Ort Aufpasser neben den Finanzbeamten und Sanktionen", so der Griechenland-Experte.
Dieser Lösungsweg hätte bereits den Briten Anfang des 20. Jahrhunderts geholfen, die Korruption in Zypern zu bekämpfen. Heute rangiert die Mittelmeer-Insel im Report von Transparency International im Mittelfeld, so Richter, der Korruption als ein Erbe des Osmanischen Reichs ansieht.
Nur an Kunden, nicht an Ansiedelung interessiert
Für Martin Knapp von der Deutsch-Griechischen Handelskammer in Athen liegen die Wurzeln der Wirtschaftsmisere weit weniger lange zurück und basieren nicht nur auf Schattenwirtschaft: "Die Griechen sind 1981 der EU beigetreten und haben geglaubt, jetzt kommen die Investitionen, jetzt werden sie zum Industrieland." Stattdessen mussten sie feststellen, dass viele Firmen nur dort ansässig waren, weil sich das Land hinter Zollmauern verschanzt hatte und man den Markt nur aus Griechenland bearbeiten konnte. Als diese Mauern wegfielen, seien viele abgewandert.
Einen zweiten Rückschlag erlebten die Griechen laut Knapp in den 90er Jahren. Als die Balkanländer offen waren, sei vor allem die wichtige Bekleidungsindustrie abgewandert. "Es gab keine neuen Investoren, und in den letzten Jahren wurde das Land nur noch als Absatzmarkt gesehen", erklärt Knapp.