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Wahlen werden in der Mitte gewonnen.
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In diesem Frühjahr sucht die SPÖ in einer mehrwöchigen Mitgliederbefragung jene Führungsfigur, welche die Sozialdemokratie in die nächste Nationalratswahl führen soll. Die formelle Kür ist auf einem Bundesparteitag am 3. Juni in Linz vorgesehen. Die drei Bewerber - die aktuelle Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner, Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil und Traiskirchens Bürgermeister Andreas Babler - berufen sich bei jeder Gelegenheit auf ihr großes Vorbild, die rote Kanzlerikone Bruno Kreisky. Vor genau 40 Jahren, 25. April 1983, trat dieser nach dem Verlust der absoluten Mehrheit bei der Nationalratswahl als Regierungschef und am 25. September auch als Parteivorsitzender zurück.
Seither hat sich sehr viel geändert. Waren damals im Nationalrat mit SPÖ, ÖVP und FPÖ nur drei Parteien vertreten, so sind es heute mit den hinzugekommenen Grünen und Neos fünf. Darüber hinaus stehen in ganz Europa die traditionellen Volksparteien (Christ- und Sozialdemokraten) unter großem Druck sowohl von völkisch-nationalistischen Gruppierungen (in Italien kommt sogar die Ministerpräsidentin aus deren Reihen) als auch von links außen (Graz hat erstmals eine KPÖ-Bürgermeisterin).
Die bundesweite Momentaufnahme in Österreich zeigt eine weit nach rechts gerückte FPÖ mit ihrem polarisierenden Frontmann Herbert Kickl in der Pole-Position, während SPÖ und ÖVP um Platz zwei rittern. Die Koalition aus ÖVP und Grünen verharrt im Streitmodus und erfreut sich konstanter Unbeliebtheit, was Anlass zur Vermutung gibt, dass die nächste Nationalratswahl vielleicht doch früher als im Herbst 2024 anstehen könnte.
Etatistische Signale der SPÖ-Vorsitzkandidaten
In dieser instabilen Situation kommt der Klärung der Führungsfrage in der SPÖ große Bedeutung zu, weil diese staatstragende Partei gemäß ihrer Geschichte und ihrem Selbstverständnis bei der Nationalratswahl Platz eins anstreben muss. Ihr Ziel muss es sein, eine rechnerische Mehrheit von ÖVP und FPÖ zu verhindern, um zwei Regierungsoptionen zu haben: eine Ampel-Koalition mit Grünen und Neos oder die Neuauflage eines Bündnisses mit der ÖVP. Das Zusammengehen der SPÖ mit einer rechtsextremen, Putin-freundlichen und EU-feindlichen FPÖ ist, so es überhaupt jemand in Erwägung ziehen mag, auszuschließen, weil es die Sozialdemokratie zerreißen würde. So viel zu den wahltaktischen Überlegungen, doch was haben die Bewerber um Parteiführung und Kanzlerkandidatur der SPÖ inhaltlich anzubieten?
Vor allem von den beiden Herausforderern der Parteivorsitzenden Rendi-Wagner, die auf ihren Amtsbonus und eine vergleichsweise hohe Zustimmungsrate unter den SPÖ-Sympathisanten setzt, kommen programmatisch stark etatistische Signale. Doskozil stellt einen Mindestlohn von 2.000 Euro netto für alle an die Spitze seines Konzeptes, bei Babler ist es eine 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Was die Finanzierung dieser und anderer sozialpolitischer Forderungen anlangt, werden erwartungsgemäß wieder eine Vermögens- und Erbschaftssteuer ins Gespräch gebracht. Naturgemäß sind diese Pläne unter Ökonomen heftig umstritten.
Davon abgesehen wären Konzepte nach dem Muster "mehr Staat, weniger privat" weder in einer SPÖ-geführten Ampel-Koalition unter Einschluss der Neos noch in einer Koalition mit der ÖVP durchsetzbar. Unbestritten ist freilich, dass die aktuelle Teuerungswelle, die nicht nur bei Grundnahrungsmitteln und Wohnen vor allem einkommensschwache Bevölkerungsschichten trifft, gerade von einer sozialdemokratischen Partei Antworten - und zwar praktikable - verlangt. Darüber hinaus bleibt in der SPÖ-internen Führungsdiskussion überraschend viel diffus beziehungsweise unterbelichtet (notwendige Strukturreformen zur Absicherung des Wirtschaftsstandortes und des Sozialstaats, der ganze Bildungsbereich, Österreichs Rolle in der EU oder die Formulierung einer aktuellen Sicherheitsstrategie angesichts der geopolitischen Veränderungen).
Österreich ist im Grunde ein konservatives Land
An dieser Stelle muss auf den SPÖ-Säulenheiligen Bruno Kreisky verwiesen werden. Allen, die sich jetzt auf ihn beziehen, sei gesagt: Er war sich dessen bewusst, dass Österreich im Grunde ein konservatives Land ist. Nur in seiner Regierungszeit gab es in der Zweiten Republik eine linke Parlamentsmehrheit. Ihm und seinem Team, allen voran dem wirtschaftsaffinen Finanzminister Hannes Androsch, gelang es nämlich, nicht etwa mit Linkspopulismus, sondern mit einem Programm "Leistung, Aufstieg, Sicherheit" bürgerliche Wähler dafür zu gewinnen, "ein Stück des Weges" mit der SPÖ zu gehen, vor der sich niemand fürchten musste: Aussöhnung mit der katholischen Kirche, Bildungsoffensive mit Gratisschulbuch und Schülerfreifahrten sowie Abschaffung der Studiengebühren, Familien- und Strafrechtsreform, Stärkung der Sozialpartnerschaft.
Kreisky verwandelte die SPÖ von einer Klassenpartei zu einer linksliberalen Volkspartei, die sowohl auf dem Land als auch bei urbanen Bildungsbürgern, Intellektuellen, Künstlern und sozialen Aufsteigern punkten konnte. Er verpasste der SPÖ damit ein neues, modernes Image und machte sie für Menschen wählbar, die bis dahin mit der Sozialdemokratie nichts im Sinn gehabt hatten. Zwar ist die SPÖ heute aufgrund völlig veränderter Rahmenbedingungen weit davon entfernt, von einer absoluten Mehrheit träumen zu können, aber auch für eine relative Mehrheit braucht sie Signale an die politische Mitte.
Die Öffnung der SPÖ unter Kreisky brachte ihr jene 5 bis 7 Prozentpunkte zusätzlich zu den Stammwählern für die absolute Mehrheit. Und heute fehlt der SPÖ ein ebensolcher Prozentsatz an Stimmen, um auf mehr als 30 Prozent zu kommen und eine relative Mehrheit zu erhalten. Nicht ein Retro-Kurs der programmatischen Verengung, sondern nur die Öffnung der Partei verheißt Erfolg. Der Parteitag im Juni muss dem Rechnung tragen und nicht nur die Führung wählen, sondern auch ein Team vorstellen, das für die Umsetzung einer Reformagenda steht, die über den immer kleiner werdenden Kreis der Stammwähler hinaus attraktiv ist. Je mehr man von Doskozil und Babler hört, desto deutlicher wird, dass ein solcher Aufbruch ganz im Sinne der Kreisky’schen Tradition wohl am ehesten Rendi-Wagner zuzutrauen ist.