Die Besonderheit einer Kulturhauptstadt offenbart sich nicht nur in ihren architektonischen Werken.
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Das Gerüst ist weg. Fast zwanzig Jahre ist es dort gestanden und hat die Sicht versperrt, zumindest auf einen Teil des Raumes. Mal wurde auf der linken Seite restauriert, mal auf der rechten, manchmal auch in der Mitte. Die hoch aufragende Konstruktion aus Metallstangen verdeckte lange Zeit immer etwas.
Doch nun ist sie wieder ganz zu sehen, die wundersame Kuppel. Mit ihrer Rundung, ihren vierzig Fenstern, den Gewölbezwickeln zwischen den vier Pfeilern. Es sind nicht so sehr ihre Ausmaße, die beeindrucken, die 32 Meter Spannweite oder die 55 Meter vom Fußboden bis zum Kuppelscheitelpunkt. Es geht auch nicht unbedingt um ihr Alter. Seit eineinhalbtausend Jahren steht sie da, lehnt sich mittlerweile an mächtige Stützmauern an der Außenseite, die errichtet wurden, nachdem ihre Vorgängerin bei einem Erdbeben eingestürzt ist. Doch nicht das schwindelt den Besucher, es ist vielmehr ihre Zartheit.
Diese Kuppel durchbricht den Innenraum, öffnet das gesamte Gebäude. Die alten Säulen unter ihr werden mit Eisenringen zusammengehalten, ächzen unter der Last, beugen sich beinahe der gewaltigen Halbkugel. Diese selbst aber scheint zu schweben; leicht und unbeschwert greift sie in die Höhe, als ob sie sich - wie nach einem erholsamen Schlaf - recken würde. Und sie nimmt den Menschen mit, der darunter steht, zieht sein Betrachten nach oben. Kein Blick bleibt am Boden haften.
Sie hat schon viele Gesänge aufgefangen und viele Lobpreisungen. Die wuchtigen Klänge byzantinischer Liturgie hat sie ebenso gehört wie das leise gemurmelte Gebet zu Allah. Näher als die Männer, die im Hauptschiff saßen oder knieten, waren ihr über Jahrhunderte die Frauen, sowohl die christlichen als auch die muslimischen. Die hatten sich nämlich auf die Emporen zurückzuziehen.
Mittlerweile sind die Lieder verstummt, und das Klicken der Fotoapparate hat das Flüstern der Gläubigen abgelöst. Offiziell ist das Gebäude kein Gotteshaus mehr, keine Kirche und keine Moschee. Seit 75 Jahren ist die Kuppel Teil eines Museums. Doch sie ist noch immer der göttlichen Weisheit geweiht, die Sophienkirche, die Hagia Sophia oder - auf Türkisch - Ayasofya.
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Dass das Gerüst unter der Kuppel der Hagia Sophia zur Seite geräumt wurde, war mir Grund genug für einen Ausflug nach Istanbul, das heuer eine der europäischen Kulturhauptstädte ist. Doch bei meiner Rückkehr interessierte sich niemand für meine Erlebnisse in der Kuppelbasilika. Alle schauten nur auf meine Haare, die kurz geworden waren. Von etlichen Frauen - und von Männern, die es wiederum von ihren Frauen hatten - habe ich nämlich gehört, dass ein Besuch beim Friseur ein Muss für einen Istanbul-Aufenthalt ist. Also ging ich zum dritten Mal in meinem Leben zum Kuaför.
Izmo verstand sich mehr als Künstler denn als Haareschneider. In seinem kleinen Geschäftslokal im ersten Stock mit verglaster Front hüpfte er geschmeidig von einem Stuhl zum anderen, knüpfte hier ein paar lange Strähnen an, zupfte dort an einem Bubikopf herum. Er schnitt Haare nicht einfach ab; er säbelte mit seiner Schere wie mit einem Rasiermesser herum. Zufrieden betrachtete er meine durcheinandergewirbelten Locken. Meinen schüchternen Einwand, ich sehe aus wie ein Papagei, wischte er mit einer typisch türkischen sprachlichen Liebkosung weg. "Mein Schatz" und "meine Schöne" kamen dabei auch vor.
Ich dachte an meinen amerikanischen Freund in Istanbul. Der ging jede Woche zum Barbier. Wäre ich ein Mann, würde ich mir auch die Barthaare schneiden lassen. Übrigens hatte Osman, der Barbier meines Freundes, tiefes Mitleid mit den Europäern. Er habe gehört, dass sein Beruf im Westen so gut wie gar nicht mehr ausgeübt werde. Dabei könnten doch die Türken in Europa diese Dienste anbieten. Das, fand er, wäre ein guter Kulturbeitrag.