Die Einschränkung der Mindestsicherung könnte zu einem Zwist zwischen Bund und Wien führen.
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Wien. Eine schwarz-blaue Bundesregierung und ein rot-grün regiertes Wien: Das könnte noch zu manchem Konflikt führen. Bereits während des Nationalratswahlkampfs hatte ÖVP-Obmann Sebastian Kurz die Bundeshauptstadt wegen ihrer Flüchtlings- und Migrationspolitik mehrfach kritisiert. Die rot-grüne Landesregierung zeigte sich darüber empört. Nun bahnt sich in der Debatte um die Mindestsicherung der erste konkrete Streit an.
ÖVP und FPÖ präsentierten am Freitag eine erste Grundsatzeinigung zur Mindestsicherung. Die Parteien planen für Asylberechtigte eine "Mindestsicherung light" mit weniger Geld- und mehr Sachleistungen. Auch soll die Mindestsicherung für Familien einheitlich gedeckelt werden. "Wenn die Vorschläge in diese Richtung gehen, dann müssen wir dagegenhalten", meinte daraufhin Wiens Sozialstadträtin Sandra Frauenberger am Samstag. Die SPÖ erwägt auch, rechtliche Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Die "Wiener Zeitung" analysiert mit Verfassungsexperten die Rechtslage und welche Rolle der Verfassungsgerichthof (VfGH) in den möglichen Konflikten einnimmt.
Knackpunkt Mindestsicherung: die Ausgangslage
Die Mindestsicherung gehört zur etwas altertümlich klingenden Kompetenzmaterie "Armenwesen". In dieser obliegt dem Bund die Grundsatz-, dem Land die Ausführungsgesetzgebung und die Vollziehung. Das bedeutet: Das Grundsatzgesetz ist von selbst nicht vollziehbar. Dazu braucht es die Ausführungsgesetze der Länder.
"Von dieser Grundsatzgesetzgebung hat der Bund bisher nie wirklich Gebrauch gemacht", sagt Daniel Ennöckl, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Wien. "Die Mindestsicherung war bisher über eine 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern geregelt worden, die aber Ende 2016 ausgelaufen ist", so Ennöckl. Seitdem konnten die Bundesländer die Mindestsicherung frei regeln.
Das soll sich nun ändern. ÖVP und FPÖ wollen künftig ein Grundsatzgesetz erlassen, das den Ländern einen Rahmen für die Regelung der Mindestsicherung vorgibt. Wie konkret darf dieses Gesetz sein? Welchen Spielraum hat Wien in seinem Ausführungsgesetz, wenn es mit der schwarz-blauen Regelung nicht einverstanden ist?
Das Grundsatzgesetz dürfe nicht alles regeln, erklärt Ewald Wiederin, Professor und Vorstand des Instituts für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Wien. "Es muss im Einzelnen noch etwas offenlassen. Wo die Grenzen genau verlaufen, kann niemand sagen. Das muss der VfGH entscheiden."
Ennöckl ergänzt: "Wenn Schwarz-Blau Höchstgrenzen für die Mindestsicherung festgelegt, ist das wohl von der bisherigen Rechtsprechung des VfGHs gedeckt. Wenn Wien sich dann nicht an diese Regelung anpasst, würde das Landesgesetz verfassungswidrig werden."
Bis ein Landesgesetz angefochten und vom VfGH für verfassungswidrig erklärt werde, könne es aber etwas dauern, sagt Walter J. Pfeil, Professor für Arbeitsrecht und Sozialrecht an der Universität Salzburg. "Wien kann erklären, es sei nach wie vor zuständig und handhabe die Dinge so wie bisher. Diese Passivität schützt und gewinnt Zeit. Die Länder sitzen daher auf einem relativ langen Ast. Sie können warten, bis das Landesgesetz vom VfGH für verfassungswidrig erklärt wird."
Politische Signale, mögliche Diskriminierungen
Der Verfassungsgerichtshof wird also bei möglichen Streitigkeiten zwischen Schwarz-Blau und dem rot-grünen Wien eine gewichtige Rolle spielen. "Der Gang zum Verfassungsgerichthof ist natürlich auch ein politisches Signal, von dem man sich etwas erhofft. Allerdings kann man dabei auch verlieren", so Wiederin.
Mit einer Einschaltung des VfGHs beim Thema Mindestsicherung kokettiert die SPÖ bereits. Ob man sich juristisch gegen die Einschränkungen wehre, hänge zwar noch von der Ausformulierung ab, sagte der geschäftsführende SPÖ-Klubchef Andreas Schieder. Er stellte aber klar: "Wenn es wirklich ganz schrecklich ist, wird man es vor dem VfGH bekämpfen."
Es gebe schon Möglichkeiten, die verfassungsrechtliche Hebel bieten würden, sagt Wiederin. "Etwa für den Fall, dass die Mindestsicherung auf ein Niveau herunterfällt, bei dem man nicht mehr menschenwürdig leben kann." Das könne eine Verletzung des Gleichheitssatzes oder eine Diskriminierung im Zusammenhang mit dem Privat- und Familienleben darstellen. "In erster Linie werden sich dann die Betroffenen an den VfGH wenden." Aber auch ein Antrag der Wiener Landesregierung oder eines Drittels der Abgeordneten des Nationalrats sei möglich, sagt Wiederin.
Die zweifelhafte Frage der Deckelung
Interessant könnte laut Ennöckl auch die Frage werden, ob eine Deckelung der Mindestsicherung - unabhängig von der Anzahl der Kinder - zulässig ist. "Ist es sachlich gerechtfertigt, jemanden, der zwei oder fünf Kinder hat, jeweils 1500 Euro zu geben?", fragt Ennöckl. Pfeil hat an einer solchen Deckelung verfassungsrechtliche Zweifel: "Dazu gibt es schon aus den 1980ern Entscheidungen des VfGHs. Darin hat er festgehalten, dass in einem System, das auf den Bedarf abstellt, die Größe der Familie berücksichtigt werden muss."
Die Zulässigkeit dieser Einschränkung wird demnächst der VfGH prüfen: Bei ihm ist ein Verfahren über eine dementsprechende Regelung aus Niederösterreich anhängig. Eine Entscheidung darüber wird voraussichtlich 2018 fallen. Sollte sie der VfGH aufheben, könnte das den schwarz-blauen Deckelungsplänen zuwiderlaufen. Wie Pfeil festhält, bliebe Schwarz-Blau dann nur die Möglichkeit über, ihr Vorhaben per Verfassungsmehrheit zu verankern. Dazu bräuchte es aber die Zustimmung der Neos oder SPÖ - die höchst unwahrscheinlich erscheint.
Spielraum im Staatsbürgerschaftsrecht
Verschärfungen planen ÖVP und FPÖ auch im Staatsbürgerschaftsrecht: Anerkannte Flüchtlinge sollen künftig die Staatsbürgerschaft nicht mehr nach sechs, sondern wie andere Zuwanderer erst nach zehn Jahren beantragen können. Für die Gesetzgebung ist in dieser Materie der Bund zuständig, die Vollziehung obliegt den Ländern.
"Anhand der unterschiedlichen Einbürgerungsquoten in den Ländern sieht man, dass den Ländern hier durchaus Spielraum überlassen wird", sagt Wiederin. In Maßen könnten die Länder hier also Politik machen - "gerade in einer Materie wie dem Staatsbürgerschaftsrecht, in der es viel Ermessen gibt".
"Das Staatsbürgerschaftsrecht lebt von sehr allgemeinen Klauseln", erklärt Ennöckl. Das ermögliche unterschiedliche Auslegungen. Einen solchen Gestaltungsspielraum gebe es bei der Mindestsicherung nicht: "Da geht es vor allem um konkrete Geld- und Höchstbeträge".