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Von Makis und Menschen

Von Frank Ufen

Wissen

Ob Haselmäuse, Siebenschläfer, Igel, Hamster oder Murmeltiere - wenn die kalte Jahreszeit anbricht und das Nahrungsangebot immer knapper wird, ziehen sich viele Säugetiere in einen Unterschlupf zurück, um Winterschlaf zu halten. In einen winterschlafähnlichen Zustand fallen auch die Kolibris und einige andere Vogelarten. Bären, Dachse oder Eichhörnchen hingegen ziehen die Winterruhe vor, bei der die Körpertemperatur in geringerem Maße heruntergeschraubt wird. Dann gibt es die Reptilien und Amphibien und andere wechselwarme Tiere, die Monate im Zustand der Kältestarre verbringen können. Und schließlich gibt es noch das Phänomen des Sommerschlafs. Ihn pflegen Krokodile und Schlangen und bei uns die Weinbergschnecken in Perioden großer Hitze und Dürre zu halten.


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So viel wusste man bisher, doch neuerdings weiß man mehr. Kürzlich haben nämlich die Marburger Zoologen Prof. Gerhard Heldmaier und Kathrin H. Dausmann einen Primaten ausfindig gemacht, der nicht weniger als sieben Monate winterschlafend verbringt - und das bei tropischen Temperaturen von über 30 Grad Celsius.

Bei diesem Primaten handelt es sich um den Fettschwanzmaki, einem auf Madagaskar ansässigen Halbaffen. Dieses nur etwa 15 Zentimeter lange und 130 Gramm schwere Tier, das eher wie ein Eichhörnchen aussieht, ist auf ein nachtaktives Leben spezialisiert und ist dafür mit riesigen dunklen Augen ausgerüstet. Auf Madagaskar mangelt es während der kühleren Trockenzeit an Wasser und Nahrung. Die Fettschwanzmakis fressen sich deshalb dicke Fettpolster an, verkriechen sich in einer Baumhöhle und schalten ihren Stoffwechsel auf Sparflamme.

Paradoxerweise schlafen diejenigen Makis am schlechtesten, die in dickwandigen Baumhöhlen überwintern, wo sich die Schwankungen der Außentemperatur kaum bemerkbar machen. In solchen Quartieren wird es den Makis schnell zu kalt. Sie müssen deshalb regelmäßig ihren Schlaf unterbrechen, um ihren Körper für einige Stunden wieder auf 33 Grad aufzuheizen. In aller Ruhe durchschlafen können hingegen die Makis, die sich in dünnwandigen und damit schlecht isolierten Baumhöhlen verschanzt haben. Wie Reptilien gleichen sie dann ihre Körpertemperatur einfach dem Auf und Ab der Außentemperatur an.

"Indem sie die Differenz zwischen Körper- und Außentemperatur minimieren, reduzieren sie ihren Stoffwechsel und Energieverbrauch," erklärt Kathrin Dausmann. Die niedrigste Körpertemperatur, die sie bei den schlummernden Tieren ermitteln konnte, lag bei nur 9,3 Grad, die höchste bei 35,9 Grad. Solche extremen Temperaturschwankungen sind noch bei keinem anderen Säugetier beobachtet worden. An den Fettschwanzmakis ist eben vieles außergewöhnlich - angefangen mit ihrem Namen.

Zu den größten Vorzügen des Winterschlafs gehört es, dass er wie eine Verjüngungskur wirkt und die Lebenserwartung erhöht. Beispielsweise kann die Weißzahnspitzmaus, die viel Zeit im Dämmerschlaf verbringt, vier bis sechs Jahre alt werden. Die mit ihr eng verwandte Rotzahnspitzmaus hingegen, die rastlos aktiv ist, lebt nur zwei bis drei Jahre.

Man hat daraus geschlossen, dass Menschen erheblich langsamer altern würden, wenn man sie von Zeit zu Zeit in einen künstlichen Winterschlaf versetzen könnte. Das ist zwar bisher nicht mehr als Zukunftsmusik, wäre aber technisch ohne weiteres durchführbar.

Gedächtnisverlust . . .

Der Winterschlaf hat allerdings auch negative Auswirkungen. So hat die Wiener Biologin Eva Millesi herausgefunden, dass Ziesel nach dem Aufwachen aus dem Winterschlaf Aufgaben nicht mehr lösen konnten, mit denen sie vorher spielend zurechtgekommen waren. Solche Ausfallerscheinungen sind wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass das Gehirn eingerostet ist und viele neuronale Verbindungen verloren hat.

Eva Millesi hat eine weitere verblüffende Entdeckung gemacht: Die Ziesel legen während ihres Winterschlafs periodisch Pausen ein, um vor allem eines nachzuholen - gewöhnlichen Schlaf. Millesi vermutet, dass die Wachphasen in erster Linie dazu dienen, das Gehirn vor gravierenden Schäden zu schützen.

Vor einiger Zeit hat der Leipziger Neurologe Prof. Thomas Arendt im Einzelnen erforscht, was der Winterschlaf im Gehirn von Eichhörnchen anrichtet. Dabei zeigte sich etwas Merkwürdiges: Im Eichhörnchen-Gehirn kommt es zu ähnlichen Veränderungen, wie sie typischerweise bei Alzheimer-Patienten auftreten. Von diesen Veränderungen ist vor allem das Tau-Protein betroffen, das für den Stofftransport zwischen den Nervenzellen zuständig ist.

. . . für ein paar Tage

In beiden Fällen kommt es zur Anreicherung von Phosphatresten, was schließlich zur Folge hat, dass eine Reihe höherer Gehirnfunktionen erheblich beeinträchtigt oder völlig lahmgelegt sind. Doch so viel sich auch im Gehirn der Eichhörnchen verändert hat - schon wenige Tage nach dem Ende des Winterschlafs hat es sich vollständig regeneriert. Das passiert bei der Alzheimerschen Erkrankung aus irgendwelchen Gründen nicht. Arendt glaubt deshalb, dass sie auf einer Fehlsteuerung beruht. Fehlgesteuert wird dabei ein Mechanismus, den die Evolution hervorgebracht hat, um das Gehirn vor irreversiblen Schäden zu bewahren.

Suche beim Bären

Arendt untersucht gegenwärtig, wie sich dieser Mechanismus bei Bären auswirkt. "Zwischen dem Gehirn von Bären und Menschen," erklärt er, "gibt es mehrere Übereinstimmungen. Wenn sich das Ergebnis erhärtet, bedeutet das einen gänzlich neuen Ansatz bei der Suche nach einer Heilung von Alzheimer."