Hochschul-Skandal in Tschechien weitet sich zunehmend aus. | Auch Politiker haben Abschluss vermutlich gekauft. | Prag. Begonnen hatte alles im September mit dem Entdecken eines Plagiats an der Rechtsfakultät der Westböhmischen Universität Pilsen. Seitenweise waren dort Passagen einer Abschlussarbeit aus einer früheren Arbeit übernommen worden. Bei der darauffolgenden weiterführenden Prüfung wurde allerdings klar, dass man hier nicht auf einen Einzelfall gestoßen war, sondern auf die Spitze eines veritablen Eisbergs.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
In Pilsen konnte man allem Anschein nach in absoluter Rekordzeit Doktor- und Magistertitel erwerben. Manche der Schnellstudenten absolvierten ein Fünf-Jahres-Studium in weniger als einem Semester, anderen wiederum reichten mehrere Ferienmonate für den Abschluss. Gleichzeitig litt die Universitätsbibliothek unter dem Verschwinden einer beunruhigenden Vielzahl von Dissertationen und Magisterarbeiten - darunter pikanterweise auch jene des früheren sozialdemokratischen Regierungschefs Stanislav Gross oder der Bürgermeisterin von Chomutov, Ivana Rapkova.
Insgesamt fanden Mitarbeiter einer Untersuchungskommission etwa 400 Fälle. Nicht alle dieser Titel dürften aber unrechtmäßig erworben worden sein. Laut dem über die Affäre gestolperten Prodekan Milan Kindl - einem angesehenen Rechtswissenschafter und langjährigen Berater von Ex-Präsident Vaclav Klaus - gibt es unter den inkriminierten Fällen auch Studenten, die lange im Ausland studiert hatten und nur zwecks Nostrifizierung einige Prüfungen in Tschechien nachmachen mussten.
Spenden an Professoren
Zu den Auffälligkeiten gehörten jedoch Politiker, Verwaltungsbeamte und Polizisten, die nach einer Verwaltungsreform für die Ausübung ihrer Funktion einen akademischen Abschluss benötigten. Und auffällig ist auch die Nähe zum Gaskonzern Egidgas, der das Wohlverhalten der Professoren mit großzügigen Spenden belohnt haben soll. Doch Pilsen scheint kein unrühmlicher Einzelfall gewesen zu sein. Vor kurzem fand man auch an der Prager Hochschule für Finanz- und Verwaltungswirtschaft (VSFS) "Rekordstudenten" .
Bekannt wurde der Fall des Bezirksbürgermeisters von Prag 9, Jan Strof. Er benötigte für ein Studium, das in der Regelzeit fünf Jahre dauert, nur sechzehn Monaten. Strof, der Teile seines Studiums im Ausland absolviert haben will, gehört - wie auch andere Schnell-Absolventen - den Bürgerlichen Demokraten (ODS) an. Die Nähe der Hochschule zur ODS wird aber auch in einem Kommentar eines namentlich nicht genannt werden wollenden Abgeordneten der Partei deutlich: "Hier geht man hin, wenn man einen baldigen Abschluss benötigt." Absolvent der VFFS war auch der zweite Mann der ODS, Parteivize David Vodrazka.
Im Rennen um die VIP-Studenten musste die VFSF allerdings mit der CEVRO-Akademie konkurrieren, die Ex-Innenminister Ivan Langer (ebenfalls ODS) nahesteht. Finanziell werden aber beide Hochschulen von der Nordböhmischen Kohleindustrie unterstützt.
Als Konsequenz der Hochschul-Affäre will das Bildungsministerium nun alle seit 2000 erlangten Studienabschlüsse prüfen. Bis zum 25. November sollen nach Wunsch von Untersuchungskommissions-Chefin Vladimira Dvorakova erste Ergebnisse vorliegen. Ende Jänner will man einen Abschlussbericht vorlegen. Viel Gutes dürfte dieser nicht enthalten. Dvorakova sprach in einer ersten Äußerung von "mafiösen Strukturen". Und auch die Staatsanwaltschaft wird sich mit dem Fall befassen.
Von den Hochschulen kommen unterdessen beschwichtigende Worte: Tschechien sei kein "schwarzes Schaf" bei der Vergabe akademischer Titel. Auch in Deutschland seien mehr als 100 Hochschullehrer der Korruption verdächtig, ein Universitätsprofessor habe dort für das Ausstellen von 69 Doktortiteln etwa 200.000 Euro eingestrichen haben. In Frankreich koste ein Titel 2700 Euro, und eine russische Gang habe sogar ein Harvard-Diplom für 40.000 Dollar verkauft.