Zum Hauptinhalt springen

Von Roma-Songs bis zu Acid Jazz

Von Selina Nowak

Politik

Balkan Fever: Jenseits von Folklore-Kitsch und Ethnoromantik. | Heuriger Schwerpunkt bei weiblichen Musikern. | Wien. Wien. "Natürlich wird am Balkan viel Turbofolk gehört, wie auch in Österreich große Teile der Bevölkerung schlechte Popmusik und Schlager hören." Kein Blatt vor den Mund nimmt sich Richard Schuberth, künstlerischer Leiter des Festivals Balkan Fever, wenn es um Musikgeschmack geht.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Mit dem unter Ex-Jugoslawen in Wien so beliebten Turbofolk - einer Mischung aus traditioneller Volksmusik und Rock - geht er hart ins Gericht. "Diese Musik ist billig, das würden wir nie ins Programm nehmen. Außerdem wird das ohnehin in der Ottakringer Jugo-Partymeile rauf und runter gespielt, und die Stars verdienen viel Geld. Diese Schiene soll nicht bedient werden."

Balkan Fever zeigt seit 2004 Südosteuropa von seiner vielfältigen musikalischen Seite, von Folklore bis Rock, von A Capella bis elektronisch. Einen Monat lang werde ein bunt gemischtes, weltoffenes Publikum angesprochen, so Schuberth: "Nationale Grenzen werden aufgerissen. Früher wären Serben und Kroaten nie auf dasselbe Konzert gegangen, außer zu Stars aus der Zeit des alten Jugoslawiens." Soziale Grenzen würden bei Roma-Konzerten durchbrochen. "Dann kommt auch das jugoslawische Arbeiterproletariat und feiert seine Stars Seite an Seite mit Intellektuellen, die ihr Bedürfnis nach Multikulturalität befriedigen."

Roma-Songs werden gleich bei der Festivaleröffnung am Samstag die erst 15-jährige Sängerin Stanoela Ingilizova mit der zwischen sieben und 17 Jahre alten Gruppe Karandila junior, den Kindern und Kindeskindern der Gipsy Brass Band Karandila, präsentieren. Und enden wird Balkan Fever mit Altmeisterin Esma Redzepova, "Queen of the Gypsies".

Der Sound der Roma-Blasmusikkapellen wurde zuletzt zunehmend zur musikalischen Signatur der gesamten Region. Gegen diese "Ziganisierung" wehren sich in südosteuropäischen Ländern konservative und nationalistische Kräfte. Sie streben eine Förderung sogenannter "weißer Musik" an, Balkan-Musik, die aus anderen Traditionen entspringt, wie der orthodoxen Kirchen- oder Chormusik. Schuberth betont: "Wir bringen diese Musiktraditionen ebenso auf die Bühne, aber ohne sie von solchen reaktionären Kräften vereinnahmen zu lassen."

Dieses Jahr enthält Balkan Fever eine zusätzliche Komponente: Es wird feminin. Nicht dass der Frauenanteil vorher zu gering gewesen wäre, aber er blieb meist auf den Gesang beschränkt, während tanzbare Instrumentalmusik Männerdomäne war. Nun treten Musikerinnen verschiedener Genres auf, die sich dieser Zuteilung entziehen. Beispielsweise die bulgarische Gadulka-Spielerin (Anm. bulgarisches Streichinstrument) Darinka Tsekova, die bereits mit Hubert von Goisern tourte, oder Diane Maloya Maloti, die sich nach dem Studium der Jazztrompete in Graz nun hauptsächlich elektronischer Musik widmet.

Neue Balkan-Jazz-Szene

Ein Schwerpunkt sind Musikerinnen aus Balkan-Ländern, die in Österreich leben. Gerade in Österreich entwickle sich derzeit eine lebendige Balkan-Jazz-Szene, meint Schuberth, vor allem in Graz, wo viele Musiker vom Balkan am Konservatorium studieren. Diese hätten meist mit der Musiktradition ihrer Heimatländer zunächst nichts am Hut. Erst hier merkten sie, wie interessant diese eigentlich ist und fingen an, sich mit ihr zu beschäftigen und sie in die Arbeit einzubauen. Das gilt etwa für Maja Osojnik, die in Graz Jazz studiert hat und düster Melancholisches aus Slowenien zum Besten geben wird, oder Vesna Petkovic aus Serbien, die mit dem Sandala Orkestar auf der Bühne stehen wird.

Umgekehrt treten auch deutschsprachige Musikerinnen mit Balkan-Bezug auf, wie Arabel Karajan, Wahlbulgarin und Tochter des Dirigenten Herbert von Karajan. In der Formation Tripple A liefert sie sich mit bulgarischen Beatboxstars extravagante Vokalduelle. Eine andere prominente deutschsprachige Musikerin ist Sanda Weigel. Die Nichte von Bertolt Brecht singt mit einer japanischen Band rumänische Romalieder. Schon früher streckten westliche Musiker ihre Fühler in den Balkan aus. Vor allem die irische Folk Szene und viele amerikanische Klezmer Bands ließen sich ab den 60er Jahren von Sounds aus Südosteuropa beeinflussen. Erst mit dem World-Musik-Trend Ende der 80er wurde Musik aus dem Balkan weltweit verbreitet, bekam aber auch den Folklore-Stempel aufgedrückt.

Undergroundbands aus Bulgarien und Serbien sind ein anderer Festival-Schwerpunkt, die stilistisch von Trip Hop und Acid Jazz bis zu Rock und Elektronik-Experimenten reichen. Auch einige Divas des Balkan Jazz, sowie ungewöhnliche A-Capella-Gruppen werden zu bewundern sein.

"Balkan Disco ist Schrott"

Von Stars wie Shantel, die Balkanmusik zu tanzbarer elektronischer Musik verarbeiten, hält Schuberth nichts. "Sogenannte Balkan Disco Sounds halte ich für musikalischen Schrott. Shantel ist Hansi Hinterseer für Partygeher, der es nie wagen würde, einen ungeraden Takt zu spielen. Nichts gegen Hybride. Es ist zulässig aus verschiedensten Kulturen zu schöpfen. Ich bin der Letzte, der da irgendjemandem etwas vorschreiben will, doch sollte man eine Tradition zuerst kennen, bevor man sie verwurstet. Viele Sounds werden als Balkan missinterpretiert und vermarktet, sobald nur ein paar durchgeknallte schnelle Trompeten zu hören sind."

In Österreich war Süd-Osteuropa lange Zeit nur von Gastarbeitern wahrgenommen. Das änderte sich durch die Balkankriege, als viele Ärzte und Techniker nach Österreich kamen. Mittlerweile entstand ein regelrechter Balkan Boom, der in Wien besonders von zwei Institutionen gepflegt wird: dem Ost Klub beim Schwarzenbergplatz und Balkan Fever.

Balkan Fever findet von 7. April bis 11. Mai an im Porgy & Bess, Ost Klub, Sargfabrik, Theater Akzent und EGA statt.

http://www.balkanfever.at