)
Die Dynamik einer Verhandlung kann die freundlichste Stimmung kippen lassen
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Wir können nicht mit jenen verhandeln, die sagen: Was mein ist, ist mein; und was dein ist, ist Verhandlungssache." (John F. Kennedy)Wien. Am 6. Februar 1989 schrieb ein Möbelstück Geschichte. Aber es war eben ein besonders Möbelstück, ein eigens aus Lindenholz gefertigter Tisch, der 57 Gesprächspartner unterbringen musste. Und zwar ohne bessere und schlechtere Sitzpositionen, ohne Ecken und Abseits. An jenem 6. August 1989 saßen also 57 Gesprächspartner in ostentativer Gleichberechtigung an einem Tisch, zum allerersten Mal in Polen, Vertreter des kommunistischen Regimes, Dissidenten, die katholische Kirche und andere Gruppierungen. Ein paar Monate später fanden in Polen erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wieder freie Parlamentswahlen statt.
Ort und Räumlichkeit spielen bei Verhandlungen immer eine wichtige Rolle. Die großen Verhandlungsrunden zwischen SPÖ und ÖVP werden daher auch an einem möglichst neutralen Ort stattfinden, im Lokal 1 im Parlament, einem gediegenen Raum mit langem Tisch, grüner Filzdecke und gepolsterten Ledersesseln. Das Ministerratszimmer, wie der Raum landläufig genannt wird, ist aus mehreren Gründen ein idealer Ort für derartige Verhandlungen, nicht nur aufgrund seiner Neutralität. Nebenan liegen Büros, in denen parallel recherchiert und Fakten ausgearbeitet werden können. Und ebenfalls überaus wichtig: Die Toiletten sind nahe.
Der Auftakt
ÖVP-Chef Michael Spindelegger und SPÖ-Chef Werner Faymann: Hier treffen zwei Chef-Verhandler aufeinander, die sich nicht mehr gegenseitig vorstellen müssen. Als Kanzler und sein Vize haben sie sich x-mal erst ein Bein gestellt und sich dann zum erzielten Kompromiss beglückwünscht. Man kennt sich und duzt sich. Diese atmosphärische Ausgangslage des Regierungspokers zwischen amikal und angespannt-vertraut zieht sich durch alle acht Verhandlungsgruppen. Wenn Sozialminister Rudolf Hundstorfer mit Wirtschaftskammer-Boss Christoph Leitl über Sinn oder Unsinn eines Mindestlohnes von 1500 Euro verhandeln wird, kreuzen zwei Männer die Klinge, die sich bereits 2008 zu einem Mindestlohn bekannt haben - als Hundstorfer noch Gewerkschaftsboss war und mit Leitl sozialpartnerschaftlich übereinkam: Unter 1000 Euro soll niemand in Österreich verdienen.
Für eine gute Verhandlungsführung ist es essenziell, die Positionen und Verhandlungsziele des Gegenübers genauso gut zu kennen wie die eigenen. Konstellationen wie Leitl-Hundstorfer erleichtern bereits die Vorbereitung enorm. Auch danach müssen sich "Du-Verhandler" nicht lange abtasten und Smalltalk über die Wolken über dem Heldenplatz führen. Für eine positive "Standardsetzung", wie es der Gruppendynamiker und Philosoph Gerhard Schwarz beschreibt, ist gesorgt.
Trotzdem werden beide Parteien nicht sofort die thematischen Bihänder - etwa die Millionärssteuer der SPÖ oder die Arbeitszeitflexibilisierung der ÖVP - auspacken.
Der international erfahrene Verhandlungsexperte der Diplomatischen Akademie, Gerhard Loibl, hält die Klärung der Tagesordnung für den besten Einstieg, gefolgt von Statements, was sich die jeweilige Seite von den Verhandlungen erwartet. Die SPÖ kann unter dem Titel Gerechtigkeit darauf hinweisen, dass nach fünf Jahren Finanzkrise und etlichen Bankenrettungspaketen nun die "kleinen Leut’" dran sind. Die ÖVP kann deklamieren, dass es sich Österreich nicht leisten kann, weiterhin in internationalen Standortrankings abzurutschen. Schon diese Ausgangslage birgt Sprengstoff, der bleibt aber noch schön verpackt.
In internationalen Verhandlungen würden im nächsten Schritt konkrete Verhandlungstexte, Punktuationen oder Textelemente ausgetauscht. Im Zuge des "Bracketings" werden strittige Positionen in eckige Klammern gesetzt; Passagen, über die Einigkeit herrscht, werden sichtbar. Ziel ist es, die Klammern von Runde zu Runde wegzuverhandeln. 2008 wurde in Österreich die Steuerreform zwischen SPÖ und ÖVP ähnlich detailliert ausgearbeitet. Heute ist eher von "Herzstücken" und Zielen die Rede, die man definieren möchte. Ein "detailorientiertes Rezeptbuch" will Faymann nicht.
Indem sie "Herzstücke" definieren, bekennen sich die Parteien dazu, sich die Herzen bei den Verhandlungen nicht herauszureißen. Sie vermitteln dem gegenüber: Wir sind zu schmerzhaften Kompromissen bereit.
Die roten Linien
Doch wo ist die Schmerzgrenze? Oder im Verhandlungs-Sprech ausgedrückt: Wo sind die roten Linien? Und wann soll man sie ziehen? "Ein paar leichte Themen sollte man zuerst verhandeln, um einen gemeinsamen schnellen Erfolg zu erreichen, aber dann recht zügig zu härteren Themen weitergehen", rät Sonja Rauschütz von der Wiener Schule für Verhandlungsführung. Dort, zwischen Knackpunkt und roter Linie, liegt das Epizentrum der Verhandlungen. Die lockere Stimmung ist mittlerweile angespannt, Positionsverschiebungen werden seismografisch notiert, doch noch schlägt niemand wie Nikita Chruschtschow vor der UNO mit dem Schuh auf den Tisch. "Je später man rote Linien zieht, desto besser. Das sichert die nötige Flexibilität", sagt Schwarz. Wo werden die Linien verlaufen? "Ohne Erbschaftsteuer kein Deal", könnte die SPÖsagen; "kein Deal mit einer Erbschaftsteuer" die ÖVP. Auch Studiengebühren oder der Fortbestand des Gymnasiums können Alarm auslösen. Roten Alarm: 2006 ging Alfred Gusenbauer mit der Abschaffung der Studiengebühren in die Verhandlungen - und kam mit ihnen wieder heraus.
Mediale Begleitmusik
In dieser Phase zwischen Knackpunkt und roter Linie steigt der Druck von außen enorm. Die Medien lechzen nach Information wie hungrige Wölfe. Undenkbar, dass die Regierung bis zur Präsentation des Regierungsprogramms schweigt. Das würde die Gefahr unkontrollierbarer "Leaks" aus den Verhandlungen erhöhen. Solche Insiderinformationen können Verhandlungen zum Scheitern bringen, weil sie Misstrauen und Stress sähen. Die Experten empfehlen kontrollierte Leaks, das heißt, was rausgeht, wird in den Pausen abgesprochen. Faymann und Spindelegger sind sich der Gefahr bewusst und haben vereinbart, dass nur sie gemeinsam vor die Presse treten. In der Praxis werden trotzdem mehr Informationen durch die dicken Parlamentsmauern dringen. Doch selbst das lässt sich Steuern, über die sogenannten "Doppelverräter". Das sind Journalisten oder Spin-Doktoren, die von beiden Seiten gefüttert werden, im Wissen, dass der Feind mithört. "Sie sorgen für die Zwischentöne in den Pausen und können durch ihre Vermittlungsrolle den Prozess sogar voranbringen", sagt Schwarz.
Tipps & Tricks
Aktiv auf dem Mediencello spielte im Jahr 2000 Wolfgang Schüssel. Er stellte die Stimmung zwischen SPÖ und ÖVP als derart überhitzt dar und machte seinen Schwenk zur FPÖ nachvollziehbar.
Schüssel taktierte sich geschickt aus der rot-schwarzen Koalition. Taktieren gehört zum Verhandeln. Plumpe Tricks oder Bluffs mit Halbwahrheiten oder gefakten Zahlen sind für die Experten aber "No-Gos". Sie würden die Stimmung nur verschlechtern. Für die beiden Parteien, die sich einen "neuen Stil" verpasst haben, wäre das besonders fatal. "Ein bisschen bluffen gehört dazu, aber im großen Stil löst das etwas aus", sagt Rauschütz. Nachsatz: "Und wenn nicht in dieser, dann in nächsten Verhandlungen. Anders formuliert: Sollte durch gegenseitige Gemeinheiten das Verhältnis zweier Parteien so schlecht sein, dass nur mit Mühe, Not und Mediation ein Regierungsvertrag zustande kommt, wird die Lebensdauer einer solchen Verbindung nicht gerade lang sein. Nach der hauchdünnen Mehrheit von SPÖ-ÖVP bei dieser Wahl wäre das in Hinblick auf die kommenden Wahlen ein vorzeitiges Abdanken.
Doch es gibt eben auch das elegante Taktieren. Man fordert etwas erst mit Vehemenz, dann gibt man es zähneknirschend (und insgeheim lächelnd) auf. Das eigentliche Objekt der Begierde gibt es dann womöglich billiger. Die Steigerung davon: das falsche "Ankerwerfen". Dabei ziehen Verhandler rote Linien, um das Gegenüber zu erzürnen und ein lautes "Nein" zu provozieren. Rauschütz über das gefährliche Nein-Wort: "Nein ist reaktiv. Die Kunst ist, nicht zu reagieren."
Emotion und Sitzfleisch
Doch wie lange kann die selbstverordnete Coolness währen? Das kommt aufs Sitzfleisch an. "Das ist wahnsinnig wichtig. Wenn Menschen zu lange zuhören müssen, schaltet das Hirn vom Cortex aufs Stammhirn um. Der, bei dem die am meisten entwickelten Gehirnpartien als Letzte abschalten, gewinnt", sagt Schwarz. Er weiß von Professoren zu erzählen, die sich nach zu langen Verhandlungen anbrüllten wie die Affen. Rauschütz rät Verhandlern mit Sitzfleisch aber davon ab, ihre Stärke über Gebühr auszuspielen. Wer nicht mehr sitzen kann, hungrig ist, dringend auf die Toilette muss oder eine Zigarette rauchen will, sollte an der Befriedigung dieser Bedürfnisse besser nicht gehindert werden. "Warum stressen? Unter Stress werden Menschen unberechenbar, das ist nie gut", sagt Rauschütz.
Sitzfleisch, Kondition, Nüchternheit als ultimatives Erfolgsrezept? Nicht immer. Wenn die Metaebene klar ist, hält Schwarz ein gerüttelt Maß an Emotion für angebracht. "Beim Erringen des Staatsvertrags spielte ja auch angeblich der Wein eine gewisse Rolle."
Das Finale
Das aktuelle Setting der Regierungsverhandlungen sieht vor, dass die acht Untergruppen nicht über jeden Punkt aufs Blut streiten müssen. Streitpunkte können an die Hauptgruppe delegiert werden. Wer gleich zu Beginn ausklammert, hebt die Stimmung bei den restlichen Verhandlungen.
In der Hauptrunde fängt dann das Junktimieren von teils völlig fremden Themen an: "Gibst du mir das bei der Gesundheit, geb’ ich dir das bei der Bildung. Gibst du mir diesen Minister, verzichte ich auf jenes Gesetz." Rauschütz: "Wenn es der Sache dient, ist das Teil des Spiels. Aber es können auch Lose-lose-Situationen entstehen." In den USA hat eine solche Junktimierung der Republikaner beinahe zum Staatsbankrott geführt, als sie ihre Zustimmung zur Anhebung des Schuldenlimits mit Änderungen von "Obamacare" verbanden.
Doch gerade in Regierungsverhandlungen, die zu einem Ergebnis führen müssen, sind meist Junktims die Eisbrecher. Wer kann ausschließen, dass die SPÖ auf Vermögenssteuern verzichtet, wenn bei der Steuerreform die "kleinen Leut’" die Entlastung am stärksten im Börsel spüren? Dann wird unter dem Dach der Gerechtigkeit nur das Zimmer gewechselt. Schwarz: "Verhandeln ist ein Lernprozess. Was wichtig war, kann plötzlich nicht mehr wichtig sein."