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Integration wurde in Deutschland wie Frankreich zum Politikum.
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Wien. Deutschlands Integrationsdebatte wurde in den letzten eineinhalb Jahren von vor allem einem Mann dominiert: dem Ex-Bundesvorstand und SPD-Mitglied Thilo Sarrazin, der umstrittene Thesen über islamische Kultur und genetische Veranlagung aufgestellt hatte. Doch auch in Deutschlands großem Nachbarland Frankreich verlief die Integrationsdebatte zuweilen alles andere als harmonisch. Das machte kürzlich eine Konferenz der deutschen Herbert-Quandt-Stiftung deutlich, die sich der Integrationsdebatte beider Länder in einer Gegenüberstellung widmete.
Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy greife das radikale Gedankengut der Front National auf, um Stimmen zu gewinnen, betonten mehrere Referenten. Der Soziologe Hassane Souley ging mit dem französischen Staatspräsidenten, wie auch mit der französischen Elite, deshalb hart ins Gericht. Er sprach von einem "offiziellen Rassismus", den sich führende Kräfte und die Öffentlichkeit Frankreichs zu eigen gemacht hätten: "Der Rechtsruck der Gesellschaft in Frankreich vollzieht sich vor unseren Augen." Er bedeute eine "Verunglimpfung der Freiheit". Islamfeindlichkeit und "Negrophobie" seien die "symbolträchtigen Instrumente des Sarkozismus".
Nicolas Sarkozy hatte bereits als Innenminister für Kontroversen gesorgt, als er randalierende Jugendliche nordafrikanischer Herkunft in Pariser Vororten als "Gesindel" bezeichnete. Das führte zum Zerwürfnis mit dem damaligen Minister für Förderung der Chancengleichheit, Azouz Begag, der selbst in Algerien geboren wurde und in den Pariser Banlieues aufgewachsen ist. Jean-Paul Picaper, Berlin-Korrespondent von "Politique Internationale", nahm Sarkozy in Schutz. Seine abwertenden Aussagen hätten sich nur auf Verbrecher, nicht auf eine bestimmte ethnische Community bezogen. Darüber hinaus seien sie ihm von einer Frau in den Mund gelegt worden, die sich an ihn mit der Bitte wandte: "Befreien Sie uns von dem Gesindel." Sarkozy sei ein Kind von Zuwanderern und kein Rassist.
2009 und 2010 setzte sich Sarkozy erfolgreich für ein gesetzliches Burka-Verbot ein. Im Parlament erklärt er dazu: Es sei für Frankreich unerträglich, dass "in unserem Land Frauen in einem Gefängnis aus Stoff leben, ohne eigene Identität und ohne sozialen Kontakt." Das sei mit Frankreichs Bild von der Würde der Frau unvereinbar. Internationale Kritik erntete auch seine Abschiebung von 8000 bulgarischen und rumänischen Staatsbürgern - die meisten davon Roma.
Sündenfall Burka-Verbot?
"Eine Zuwanderungspolitik, die eine nationale Integration einschließlich der Integration von Zuwanderern zum Ziel hat, muss reif genug sein, um die unterschiedlichen vorhandenen Modelle zu integrieren", fand der Sozialwissenschafter Francois Héran. Zu den "achtenswerten Unterschieden" gehörten auch sichtbare religiöse Zeichen in der Öffentlichkeit. Gesetze wie das Burka-Verbot stellten "einen deutlichen Eingriff in die religiösen Freiheiten eingewanderter islamischer Gemeinschaften dar."
Auf den ersten Blick glichen die Analysen Sarrazins und Sarkozys einander, fand Héran: Beide meinen, die Integration der Zuwanderer in den westlichen Gesellschaften sei gescheitert. Ihre Hauptargumente: Zuwandererströme überstiegen die Aufnahmekapazitäten der europäischen Länder, "sie seien zu teuer und gefährdeten den Fortbestand unseres sozialen Netzes".
Darüber hinaus stünden die Immigranten aus kulturellen Gründen in Distanz zu den eigenen Werten und seien daher "eine Bedrohung für unsere nationale Identität". Besonders der "Islamismus", der teils mit dem Islam vermischt wird, gerät dabei in den Fokus der Kritik.
In beiden Ländern werde die Integrationsdebatte zunehmend zu einer "Debatte um die Integrationsfähigkeit des Islam", urteilte die Politikwissenschafterin Sabine Russ-Sattar. In Frankreich wird dabei immer wieder französische Laizität bemüht. "Tatsächlich verspricht das Thema Laizität im Wahlkampf einen Mobilisierungseffekt", sagte Russ-Sattar. Es sei aber unklar, wer davon am Ende profitieren werde - Sarkozy oder die Front National.
Die Ergebnisse der jüngsten Tagung sind im Herder-Verlag unter dem Titel "Nationale Identität und Integration" erschienen.