"Ich habe nie Probleme mit Österreichern gehabt, weil ich mich immer als jemand gefühlt habe, der weniger wert ist. Ich stand immer einige Schritte im Hintergrund und war überzeugt, dass es sich so gehört." (Milica Andelkovic) Hinter dem Schlagwort der Diversitätspolitik steht der Gedanke, ZuwandererInnen als gleichgestellte BürgerInnen einer Stadt zu betrachten. Mit einer neuen Magistratsabteilung will die Stadt Wien dem Rechnung tragen. Damit stellt der 1992 gegründete Wiener Integrationsfonds in seiner jetzigen Form die Arbeit ein. Ein Anlass, auf die letzten elf Jahre zurückzublicken.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 21 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Vom mundtot machen könne gar keine Rede sein. Gabriele Philipp vom Wiener Integrationsfonds tritt diesen Befürchtungen entschieden entgegen. Dass der Fonds in seiner jetzigen Form vor dem Aus steht und im Rathaus eine Magistratsabteilung für "Integrations- und Diversitätspolitik" aufgebaut werden soll, habe schon seine Richtigkeit. "Es geht um eine generelle Neustrukturierung der Integrationsarbeit, an deren Ende sich der Fonds überholt haben wird", erklärt Philipp.
"Mit der Zeit habe ich gelernt, dass es Fremdsein nicht gibt. Fremdsein ist im Kopf eines Menschen, in deinem Kopf, in meinem Kopf. Ein Mensch bleibt aber überall ein Mensch." (Hüseyin Ates)
Hinter dem Schlagwort der Diversitätspolitik steht die Auffassung, dass ZuwandererInnen nicht primär als Zielgruppe von sozialpolitischen Maßnahmen anzusehen sind. Vielmehr sollen sie als BürgerInnen behandelt werden. Die Vielfalt einer Bevölkerung sollte dabei als Chance wahrgenommen werden. Dass es an diesem Bewusstsein oft mangle, räumen auch die MitarbeiterInnen des Wiener Integrationsfonds ein. 1992 wurde dieser gegründet. Zu der Zeit habe Österreich mit großen Migrationsströmen zu tun gehabt, weiß Philipp.
"Das war übrigens unser großer Fehler, dass wir keinen Deutschkurs besucht haben. Aber wir haben nicht viel Deutsch gebraucht und haben geglaubt, dass wir bald nach Hause zurückfahren werden. (.) Heute tut uns das leid." (Milutin Borisavljevic)
Mitterweile verweist der Fonds auf "Erfolgsgeschichten" wie die Sprachoffensiven. Über 15.000 Menschen haben seit 1998 die - auf Freiwilligkeit basierenden - Deutschkurse besucht, die zu 80 Prozent von der Stadt gefördert wurden. Im Vorjahr waren 70 Prozent der TeilnehmerInnen Frauen.
Zwischen 70.000 und 80.000 Kundenkontakten pro Jahr hat es in den letzten Jahren gegeben. Zu seinen Aufgaben zählt der Fonds Beratung und Vermittlung sowie Informationspolitik. Die Lobbyarbeit im Einsatz um gleiche Rechte für MigrantInnen werden nun wohl verstärkt NGOs übernehmen müssen.
Auch wenn eine Projektgruppe im Rathaus erst dabei ist, den Aufbau der neuen Magistratsabteilung zu planen - die Außenstellen des Integrationsfonds bleiben wohl erhalten. Die Überzeugung, dass regionale Arbeit wichtig ist, bleibe aktuell, meint Philipp. "Unsere Mission wird sich aber sicher ändern", fügt Außenstellenleiter Kadir Sel hinzu. Die Aufgaben werden eher Vernetzung und politische Beratung - wie Sensibilisierung von Gemeinderäten - umfassen. Früher kreiste die Arbeit mehr um Kinder und Essen.
"Im Haus hat damals niemand Kinder gehabt. In zehn von diesen sechzig Wohnungen waren Hunde. 1975 ist unser Sohn Volkan auf die Welt gekommen und das Verhalten der Nachbarn uns gegenüber hat sich geändert. Alle haben angefangen, uns mit anderen Augen zu betrachten. "Das Kind weint sehr viel", sagten sie, obwohl unser Sohn sehr ruhig war und fast nie weinte. (.) Wir haben uns nie beschwert, wenn die Hunde bellten." (Kemal Akin)
Kadir Sel war dabei, als die ersten Außenstellen aufgebaut wurden. "Angefangen haben wir in einem Zehn-Quadratmeter-Raum ohne Schreibtisch und Telefon im Amtshaus der Brigittenau", berichtet er. "Wir sind hin- und hergerannt, haben Hausversammlungen abgehalten und mit Bezirksvorstehern geredet. So haben wir uns vorangetastet und später professionalisiert." In den Jahren 1993 bis 1995 habe es "wahnsinnig viele" Beschwerden gegeben, sagt Sel. Ab 1997 sei ihre Zahl merkbar zurückgegangen. Ob sich die gesellschaftliche Einstellung gegenüber MigrantInnen geändert hätte? Kadir Sel glaubt, dass viele Menschen nun die gesellschaftliche Realität akzeptiert hätten.
Die meisten nachbarschaftlichen Konflikte lösten Kinder und Essgewohnheiten aus, erzählt Sel. So habe er Monate zwischen einer österreichischen und türkischen Familie im zweiten Bezirk vermittelt. Wie sich herausstellte, störte die ÖsterreicherInnen der Geruch von Schaffleisch, das die andere Familie zubereitete. Um den Streit zu schlichten, wurde eine starke Belüftungsanlage eingebaut. "Am Anfang sah es so aus, als ob keine Lösung möglich wäre. Und am Ende haben sich die Frauen gegenseitig nach Hause eingeladen."
Die kursiv gestellten Zitate stammen aus dem mehrsprachigen Band "Wir, die Zugvögel. Zehn Lebensgeschichten der ersten "GastarbeiterInnen" in Wien", hrsg. v. Wiener Integrationsfonds. Zu bestellen über die Homepage des Fonds: http://www.wif.wien.at