Bei Großkatastrophen wie der Gletscherbahn-Katastrophe in Kaprun, dem Seilbahnunglück in Cavalese oder dem Zugunglück in Eschede tauchten in jüngster Zeit US-amerikanische Anwälte an den Unglücksstellen auf und machten den Opferfamilien hinsichtlich der Schadenersatzsummen Hoffnungen. Was aber ist dran am Schadenersatz-Paradies USA?
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Das U.S.-amerikanische Schadenersatzrecht gilt österreichischen Juristen als Albtraum: Es sei unberechenbar und für hohe Schadenersatzzahlungen bekannt, Firmen würden in den Konkurs getrieben.
Inzwischen weiß man, dass vieles davon Übertreibungen und Illusionen sind. Im No-vember 2001 wurde entschieden, dass die Klagen gegen einige in die Katastrophe von Kaprun involvierte Unternehmen am Bundesgericht New York einzubringen sind und die Zuständigkeit dort einzeln zu prüfen ist. Bisher wurden etwa die Klagen gegen die Österreichische Elektrizitätswirtschafts AG abgewiesen, die Klage gegen die Firma Swoboda zurückgenommen und die Zuständigkeit für das Verfahren gegen die Siemens AG und die Bosch Rexroth AG bejaht.
Herauszustreichen ist jedoch, dass vom Gericht die Anwendung österreichischen Rechtes festgelegt wurde. Damit scheint eine Anwendung des amerikanischen Schadenersatz-rechtes ausgeschlossen, und die Träume vom schnellen Geld verfliegen. Dennoch ist ein rechtsvergleichender Blick über den Teich interessant: Erst wenn man Einzelentscheidungen in die Gesamtordnung des amerikanischen Schadenersatzrechtes einbettet, werden vermeintlich "irrationale" Urteile verständlicher - und bei manchen Sachverhalten stellt man gar fest, dass das österreichische Recht moderner ist. In den USA spricht man bei Unfällen mit Personenschäden von zwei möglichen Arten von Geldersatz - Schmerzengeld und "punitive damages".
Kaffee bei Mc Donald's
Punitive damages werden üblicherweise in Produkthaftungsfällen, in denen dem Produzenten ein besonders schweres Fehlverhalten vorzuwerfen ist, zugesprochen - sie stehen dem europäischen Rechtsdenken besonders fern. Es soll damit unterbunden werden, dass Produzenten damit kalkulieren, dass konkrete Schäden aufgrund der Verwendung eines fehlerhaften Produkts letztlich billiger kommen als eine Verbesserung oder Rückrufaktion. Dieses Kalkül soll durch punitive damages verhindert werden, die teurer kommen als die angedeuteten Aktionen.
Hier sind auch jene Fälle anzusiedeln, die in unseren Breiten Unverständnis hervorrufen. Der 79-jährigen Klägerin, die sich bei McDonalds mit heißem Kaffee verbrannte, wurden ursprünglich 2,9 Mill. Dollar zugesprochen. McDonalds soll gewusst haben, dass der Kaffee zu heiß war und Verbrennungen verursachen konnte. In der Folge wurde der Betrag allerdings auf 160.000 Dollar für die erlittenen Schmerzen und 480.000 Dollar punitive damages herabgesetzt. Die Hauptfunktion von Schmerzengeld besteht auch in den USA darin, "to make the injured party whole". Auch in Österreich verwendet der OGH eine ähnliche Formulierung: "Das Schmerzengeld soll die Genugtuung für alles Ungemach, das der Verletzte infolge der Verletzung erduldet, darstellen." Darin scheinen sich amerikanisches und österreichisches Recht einig zu sein: Ziel ist der Ausgleich der erlittenen (körperlichen und seelischen) Schmerzen durch monetäre Abgeltung. Der Ersatzanspruch wird etwa in New York an ein aktives Schmerzempfinden gekoppelt. Das heißt, ein Ersatz wird verweigert, wenn der Verletzte bewusstlos war oder im Koma lag. Auf den Punkt gebracht: Wer nicht merkt, dass er leidet, der leidet nicht, und wer nicht wahrnehmen kann, was ihm entgeht, dem entgeht nichts.
Der österreichische Schmerzengeldanspruch ist heute weiter gefasst und fordert dieses Element des Bewussterlebens nicht mehr: Das Schmerzengeld wird zu einem Ersatz für den Eingriff in Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten, da der Verlust der Erlebnisfähigkeit als ein ebenso bedeutender Nachteil wie eine Störung des Wohlbefindens durch Schmerz gesehen wird - eine zukunftsträchtige Entwicklung.
45 Mill. Dollar Schmerzengeld
Den wohl augenscheinlichsten Unterschied finden wir in der zugesprochenen Höhe von Schmerzengeld. In den USA wie in Österreich hängt die Höhe des Ersatzanspruches von Art, Dauer und Stärke der Schmerzen sowie der Schwere der Verletzung und der Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes ab; die finanziellen Ergebnisse hingegen sind sehr unterschiedlich. Während in den USA in erster Instanz schon mehr als 45 Mill. Dollar zugesprochen wurden, beträgt der höchste in Österreich bisher zugesprochene Schmerzengeldzuspruch 218.018 Euro. Die hohen Zahlungen haben sicher auch mit einem institutionellen Charakteristikum zu tun: Es besteht der Verdacht, dass sich amerikanische Geschworenengerichte von Schilderungen schädigender Verhaltensweisen stark beeindrucken lassen, und noch viel deutlicher scheint zum Ausdruck zu kommen, dass sich Geschworene - Recht hin oder her - häufig als Beschützer der Konsumenten gegenüber großen Konzernen fühlen.
Was kostet ein Toter?
Da bei dem Unglück von Kaprun die Mehrzahl der Opfer den Tod fand, stellt sich zusätzlich zur Frage nach dem Schmerzengeld auch jene, ob ein Anspruch für den Verlust des Lebens an sich besteht. In den USA ist diese Diskussion aktueller denn je. Die Aktualität wurde durch die Terroranschläge vom 11. September 2001 noch gesteigert. Heute vertreten Anwälte hunderte Opferfamilien und versuchen, Millionensummen zu erkämpfen. Was aber ist der "Wert" eines Menschenlebens?
Die Frage ist natürlich vor allem für die Angehörigen relevant. In den USA wie in Österreich gibt es heute ein Angehörigenschmerzengeld, in New York jedoch nur in den Fällen, in denen das Opfer das Unglück überlebt (loss of consortium). Im Jahr 2001 erkannte der OGH erstmals ein echtes Angehörigenschmerzengeld - für psychische Leiden ohne Krankheitscharakter - an. Der OGH stellte fest, dass der Schmerz über den Tod naher Angehöriger, der keine eigentliche Gesundheitsverletzung im Rahmen des § 1325 ABGB darstellt, dem Grunde nach zu ersetzen sei. Es ist damit wohl auch ein Schritt in Richtung einer Objektivierung des Anspruchs verbunden; denn man wird die Tiefe der Trauer über verlorene Angehörige nicht in jedem Einzelfall unterschiedlich beurteilen können, sondern zu Typologien von Beziehun-gen vorstoßen müssen.
Das immaterielle Schadenersatzrecht insgesamt ist in rascher Entwicklung - ein rechtsvergleichender Blick schärft nicht zuletzt den Blick auf den eigenen Rechtsbestand.
Mag. Margareth Prisching hat im Neuen Wissenschaftlichen Verlag eine Monographie zum Thema "Immaterieller Schadenersatz in Österreich und den USA" verfasst. ISBN 3-7083-0112-9; 179 S.; Euro 28,80,-