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Von Schuttaktionen und Trümmerfrauen

Von Johannes Schönner

Gastkommentare
Johannes Schönner ist Geschäftsführer des Karl-von-Vogelsang-Instituts.

Ein umstrittenes Denkmal und die Klarstellung eines Begriffes aus der Nachkriegszeit.


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Die Polemiken über Denkmäler in Wien wollen nicht enden. Während sich bei Karl Lueger und seinem Denkmal (einschließlich des Platzes) Antisemitismus als zeitlose Klammer zwischen Geschichte und Gegenwart manifestiert, gibt es Denkmäler, die eine richtige Erzählung anbieten, jedoch von der vorgeblich falschen Seite initiiert wurden. So gilt das Trümmerfrauen-Denkmal auf der Mölker Bastei in Wien als FPÖ-Monument und behauptet seinen Standort nur, weil es auf Privatgrund errichtet wurde.

Woran entzündet sich nun also die vornehmlich linke Kritik am Denkmal, dessen eigentliche Aufgabe das positive Gedenken an die Aufbaugeneration nach dem Zweiten Weltkrieg ist? Ist es der - übrigens vollkommen nebensächliche - Begriff "Trümmerfrauen", der hier verstört? Ist es der Umstand, dass der erste Wiederaufbau zum Teil von den "falschen Menschen" bewerkstelligt wurde, denen man aus Prinzip eine positive Leistung abspricht? Oder soll generell der historische Hintergrund diskreditiert werden?

Trümmerfrauen waren hauptsächlich NS-Belastete, die als Sühnemaßnahmen 1945/46, gelegentlich sogar noch später, zur Schuttentsorgung verpflichtet wurden. Der Begriff stammte ursprünglich aus Berlin und wurde, aus der sowjetisch besetzten Zone (der späteren DDR) übernommen, zusätzlich falsch verwendet, weil stark belastet. Ein geschichtlicher Faktencheck tut not. Zunächst einmal: 1945 bestand ein demografischer Frauenüberhang. Die meisten arbeitsfähigen Männer waren tot oder in Gefangenschaft - bei der Nationalratswahl im November 1945 waren zwei Drittel der Wahlberechtigten Frauen. Hinzu kamen Jugendliche und Alte.

Tatsächlich waren damals in Ostösterreich die Begriffe "Schutträumen" und "Schuttaktionen" geläufiger. Wien war nach Villach und Wiener Neustadt durch alliierte Bombardements und Kampfhandlungen am meisten zerstört und eine Trümmerlandschaft. Wer eine Zukunft, eine neue, bessere Welt aufbauen wollte, musste Berge von Schutt, Trümmer, abertausende Tonnen von Ziegeln, Eisen und Holzbalken erst einmal entsorgen - neben scharfen Blindgängern (noch Jahrzehnte danach ein sicherheitspolitisches Thema) keine ungefährliche Arbeit.

Professionelle Entsorgungstrupps der Gemeinde Wien kamen erst langsam und spärlich zum Einsatz. Die Besatzungsmächte stellten teils schweres Bergegerät zur Verfügung, doch das "Ziegelklopfen" und "Ziegelschupfen" blieb die ganze unmittelbare Nachkriegszeit eine gefährliche Notwendigkeit. Das Arbeitspflichtgesetz, noch im Winter 1945/46 von der neugewählten Regierung unter Kanzler Leopold Figl beschlossen, sollte nach einem bestimmten Schlüssel (Verpflichtung von Nicht-Nationalsozialisten bis 30 Jahre und frühere Nazis beiderlei Geschlechts bis 60 Jahre) dem Wiederaufbau Arbeitskräfte zuführen, konnte aber nur einen Bruchteil abdecken. Entscheidend war auch der Mangel an Rohstoffen. Gerade in den ersten Nachkriegsjahren musste man altes Ziegelwerk und sonstigen vorhandenen Materialien verbauen. Die Arbeitsverpflichtung betraf übrigens nicht nur öffentliche Bauvorhaben, sondern auch die private Firmen, wenn dort Arbeitskräfte etwa der Ernährungsversorgung zuarbeiten sollten.

Eine gewaltige Aufgabe

Aufrufe, sich freiwillig zu melden, füllten alle Zeitungen, unabhängig von der parteipolitischen Ausrichtung. Studenten und Schüler, Kriegsheimkehrer und vor allem (Haus-)Frauen waren bei dieser gewaltigen Aufgabe gefordert. Eine staatliche Wiederaufbaulotterie ("Jedes Los ein Baustein") sollte eine weitere Lücke schließen. Erika Weinzierl beschrieb noch Jahrzehnte später, wie sie mit vielen anderen die Universität Wien von Schutt befreit und damit einen provisorischen Vorlesungsbetrieb erst teilweise möglich gemacht hatte. Unbestritten ist, dass Häftlinge und politisch Belastete herangezogen wurden. Schleichhändler und andere Festgehaltene nach polizeilichen Razzien wurden obligatorisch zu Schuttaktionen abkommandiert. Dies wurde in Polizei- und Medienberichten penibel (und auch stolz) festgehalten.

Als Beispiel für die Trümmer- und Schuttaktionen sei der Wiener Bezirk Margareten genannt: SPÖ, ÖVP und KPÖ wetteifern darin, wer mehr (organisierte) Freiwillige für Aufräumarbeiten stellen konnte. Gerade die drei politischen Parteien betrachteten das Aufbauwerk und die Schuttaktionen als einen "Ehrendienst" an der neuen Republik. Obwohl der 5. Bezirk in Bezug auf Wohnraum als einer der am meisten zerstörten Wiens galt, waren die Aufräumarbeiten an der Jahreswende 1946/47 größtenteils abgeschlossen. Voller Stolz meldete die Bezirksvertretung bei einem Festakt in Anwesenheit von Bürgermeister Theodor Körner (SPÖ), Vizebürgermeister Lois Weinberger (ÖVP) und des britischen Bezirkskommandanten, dass seit 1945 in Margareten 38.000 Personen bei Aufräumarbeiten eingesetzt waren, die in 300.000 Arbeitsstunden 54.000 Kubikmeter Schutt aus dem Bezirk auf den Wienerberg geführt und 1,2 Millionen Ziegel geschlichtet hatten.

Ein neues Selbstbewusstsein

Nicht zuletzt entstand durch die Aufräumarbeiten ein Selbstbewusstsein gerade bei Frauen, das eine besondere Prägung, einen neuen Frauentyp schuf. So schrieb der "Wiener Kurier", damals noch eine Zeitung der US-Besatzungsmacht: "Es gibt heute kaum eine Frau, die nicht eine Vergangenheit hinter sich hat, die ihr vor 20 Jahren kein Mann verziehen hätte. (...) Aber gerade aus diesen Kreisen kommen jene Heldinnen, die heute den ganz neuen Typus Frau darstellen: die Trümmerfrauen. Sie wohnen mit Mann und Kind - oft nicht einmal dem eigenen - desolat. Sie haben Schweres durchgemacht, doch sie glauben an die Zukunft! Diese Menschen haben einen Mut, einen Aufbauwillen bezeugt, der oft bewundernswert ist. Alle beherrscht die Zuversicht, dass es besser werden wird."

Die Schuttaktionen waren somit eine gesamtgesellschaftliche Kraftanstrengung. In der Tat vergleichbar mit dem Kraftwerksbau von Kaprun, somit ein Akt überparteilicher Selbstbehauptung. Diesen Gedanken verfolgte wohl auch die ÖVP/FPÖ-Bundesregierung unter Kanzler Wolfgang Schüssel Anfang der 2000er Jahre. Doch die historischen Hintergründe blieben schließlich zu wenig beachtet. Die angestrebte finanzielle - wohl eher symbolische - Anerkennung der Leistungen jener Menschen, die an den Schuttaktionen beteiligt waren, wurde in der angestrebten Form nicht realisiert.

Wer die Schuttaktionen nach dem Krieg bewusst diskreditiert, verunglimpft das Ringen um Österreichs Unabhängigkeit, schließlich ein wesentliches historisches Element in der Frühphase der Zweiten Republik. Wer diese Aufbauarbeit - erst recht aus ideologischen Gründen -, marginalisiert und bestimmte Gruppen, die an diesem Aufbauwerk beteiligt waren, als Pars pro toto skandalisiert, gibt einen Teil seiner eigenen Identität preis. Das Trümmerfrauen-Denkmal sollte aus diesem Grund keinesfalls versteckt werden. Denn unter der Vielzahl historischer Denkmäler in Wien widmet sich kein anderes derart der Aufbaugeneration nach 1945.