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Von Toilettenfehlern, politischen wie persönlichen

Von Walter Hämmerle

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Bröckelnden Machtverhältnissen und Ursula Stenzel verdanken wir interessante Einblicke in seltsame Zustände.


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Die Wiener Stadtverfassung, aber das nur nebenbei, ist ein unerschöpflicher Quell politisch bemerkenswerter Kreativität. Solche Auffälligkeiten sind zwar auch anderen Bundesländern nicht fremd - diesbezüglich unerreicht ist die Kärntner Einmaligkeit, dass nicht einmal eine Mehrheit des Landtags vorgezogene Neuwahlen zu beschließen vermag.

Aber Wien hat diesbezüglich aufgrund seiner Doppelstellung als Land und Gemeinde eben doch die Nase vorn. Spontan fällt einem dazu etwa ein, dass die SPÖ in der zurückliegenden Legislaturperiode in sämtlichen Ausschüssen des Gemeinderats über die absolute Mehrheit verfügte, obwohl sie im Rathaus selbst nur auf 49 von 100 Abgeordneten kommt. Höhere Mathematik gewiss, die aber den gewöhnungsbedürftigen Nebeneffekt aufweist, dass so eine Minderheit den Beschluss einer Mehrheit zu verhindern imstande ist. So betrachtet gleichen sich Wien und Kärnten dann doch wieder in erstaunlichem Ausmaß.

In den Jahrzehnten eindeutiger Mehrheitsverhältnisse spielten diese Besonderheiten keine wirkliche Rolle. Erst jetzt, wo die Machtverhältnisse ins Wanken geraten, gelangen diese Eigentümlichkeiten ans Tageslicht einer erstaunten Öffentlichkeit. Die Liste reicht dabei von gut bezahlten, aber völlig zweckfreien Posten, wie etwa jenem des Vizepräsidenten des Stadtschulrats, dessen Sinnfrage wurde erst in dem Moment kritisch hinterfragt, als ihn ein Blauer zu besetzen drohte, bis hin zu monetär einträglichen Einrichtung, dass jeder Bezirksvorsteher auch noch über zwei Stellvertreter verfügt, die nicht von der Bezirksvertretung gewählt werden, sondern den beiden größten Parteien einfach nur aufgrund ihrer Stärke zufallen.

Diese ganz offensichtliche Geringschätzung der üblichen parlamentarischen Gepflogenheiten für parlamentarismusähnliche Einrichtungen zeigt sich auch in dem Umstand, dass es Sache des amtierenden Bezirksvorstehers ist, die neu gewählte Bezirksvertretung zur konstituierenden Sitzung einzuberufen. Wenn der- oder diejenige aus irgendwelchen Gründen keine Lust dazu verspürt, müssen die Bezirksparteien zu Notmaßnahmen greifen.

Der Dank dafür, diesen eigenartigen Umstand offengelegt zu haben, gebührt Ursula Stenzel. Dabei mag es menschlich verständlich sein, einen ungeliebten Nachfolger noch so lang es halt irgendwie geht zappeln zu lassen. Auch aufrichtige Abneigung soll in der Politik ruhig den ihr gebührenden Platz einnehmen können. Problematisch ist die Sache nicht auf einer persönlichen, sondern auf der politischen Ebene.

Stenzel wurde nach ihrem Austritt aus der ÖVP als Bezirksvorsteherin der Wiener City abgewählt - deutlich noch dazu - und zugleich als FPÖ-Abgeordnete in den Landtag gewählt. Dass sie zulässt, dass sich diese beiden politischen Mandate überlappen, ist kein geringer Toilettenfehler im Umgang mit ihren ehemaligen und nunmehrigen Wählern. Am Ende ist das allerdings eine Frage des persönlichen politischen Stils, die jeder mit sich selbst ausmachen muss.

Etwas anderes ist der Umstand, dass die Stadtverfassung Stenzel die Möglichkeit dazu in die Hand gibt. Etwas mehr demokratiepolitische Hygiene täte Wien und etlichen anderen Bundesländern ganz gut.