Wilhelm Molterer hat sich am Montag ein Herz gefasst und das Scheitern dieser Regierung eingestanden. Die Schuldfrage zu stellen, ist müßig. Gut möglich, dass der Todesstoß für die Koalition von vielen Bürgern als Erlösung von einem quälenden Polit-Kleinkrieg empfunden wird.
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Schlicht unseriös sind derzeit sämtliche Spekulationen über den Ausgang der Neuwahlen im September. Wer von den Parteien in den letzten Wochen Geld für teure Umfragen ausgegeben hat, sollte diese besser gleich ins Altpapier werfen. Die politische Situation ist schlicht zu fragil, als dass sie eine auch nur annähernd realistische Einschätzung der politischen Stärkeverhältnisse in drei oder vier Wochen zulassen würde. Und schon gar nicht bieten diese Umfragen eine seriöse demoskopische Grundlage für weitreichende Entscheidungen.
Der Grund für die Instabilität liegt auf der Hand: Im Moment rinnt die SPÖ nach allen Seiten hin aus. Die Kanzlerpartei wird sich jedoch in absehbarer Zeit wieder stabilisieren. Spätestens dann, wenn die Turbulenzen der Doppelspitze vergangen sind und Werner Faymann an politischem Profil gewinnt, werden sich die beiden Großparteien einander wieder annähern.
Man muss kein großer Prophet sein, um für den Intensivwahlkampf der letzten beiden Wochen vor dem Urnengang wieder einmal ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPÖ und ÖVP vorherzusagen.
Instabil ist die Lage schließlich auch deshalb, weil heute noch niemand weiß, ob etwa eine bunte Bürger-Liste mit dem Tiroler Zugpferd Fritz Dinkhauser im September antreten wird. Die Zeit für ein solches Unterfangen ist nun zwar knapp, aber News-Wert hätte ein solches Antreten allemal - und für bundesweite Wahlen braucht man auch keinen Parteiapparat.
Ein solches Duell um den Kanzlerstuhl - und sei es auch nur herbeigeschrieben - benötigen beide Großparteien für ihren Mobilisierungswahlkampf. Nur so können die peinliche Aufführung der vergangenen 18 Monate wieder vergessen gemacht, die eigenen Funktionäre zum Laufen gebracht und die Stammwähler zur Stimmabgabe motiviert werden. Also quasi alles fast genauso wie im Nationalratswahlkampf 2006. Auch da stand übrigens die SPÖ dank dem Bawag-Skandal mit dem Rücken zur Wand - und konnte trotzdem wider alle Erwartungen den "Sieg" erringen. Stimmen haben damals bekanntlich beide Parteien verloren.
Die ÖVP weiß, dass ihre auf den ersten Blick gute Ausgangslage trügerisch ist. Alfred Gusenbauer ist bei der SPÖ bald Geschichte, Faymann hat den Vorteil des Newcomers, obwohl auch er sein ganzes Leben in der Politik verbracht hat. Auch des notwendigen publizistischen Rückenwinds von Seiten des Boulevards Marke Dichand und Fellner kann er sich gewiss sein.
Molterers Gesicht dagegen kennen die Österreicher scheinbar schon ewig. Seit seiner Berufung zum Landwirtschaftsminister 1994 steht der Bauernbündler in der ersten Reihe. Die Persönlichkeit hinter dem Politiker blieb jedoch in all den Jahren erstaunlich unbekannt. Molterer verweigert beharrlich solche Einblicke in sein politisches und privates Innenleben. Als Spitzenkandidat wird er sich öffnen müssen, neue Facetten entwickeln, will er gegen Faymann nicht als Relikt der Vergangenheit gelten.
Die ÖVP weiß auch, dass allein mit dem Meta-Thema Verlässlichkeit und Berechenbarkeit keine Wahlen zu gewinnen sind. Bereits am Montag machte Molterer deutlich, dass er nicht gewillt ist, der SPÖ die Sozialkompetenz kampflos zu überlassen. Und auch den Fauxpas, die Probleme im Pflegebereich wegzuleugnen, wird die ÖVP nicht noch einmal wiederholen.
Zum Abschluss noch etwas Positives: Noch ist Österreichs Politik nicht hoffnungslos verloren. Dass die SPÖ der Versuchung widersteht, im Anblick von Neuwahlen noch rasch mit der Opposition einige populäre, aber teure Wahlzuckerln zu verschenken, ist höchst ehrenwert.