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Von "unfassbaren Schlampereien" und politischem Kalkül

Von Werner Reisinger

Politik

Geht es der FPÖ tatsächlich um die Chance einer Stichwahl-Wiederholung?


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Wien. Norbert Hofer ist sich seiner Sache sicher. Als "exorbitant hoch" schätzt der in der Stichwahl knapp gescheiterte FPÖ-Präsidentschaftskandidat die Chancen ein, dass die am Mittwoch beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) eingebrachte Wahlanfechtung gelingt. Von "unfassbaren Schlampereien" bei der Wahlkartenauszählung sprachen am Mittwochabend in der "ZiB2" sowohl Anwalt und Ex-FPÖ-Justizminister Dieter Böhmdorfer als auch Verfassungsjurist Heinz Mayer. Mayer, im Wahlkampf im Unterstützungskomitee von Alexander Van der Bellen, sieht durch die vorgebrachten Gesetzeswidrigkeiten das Wahlergebnis in Misskredit gebracht.

Wie hoch die Chancen tatsächlich sind, darüber gehen die Meinungen der Experten auseinander. Die FPÖ beruft sich auf einen Spruch des VfGH von 2014, demzufolge bei Verletzungen der Wahlordnung, "die eine einwandfreie Prüfung der Stimmenzählung sicherstellen sollen", bereits die Möglichkeit von Missbräuchen gegeben sei. Schon dem Anschein einer Manipulation wolle der VfGH entgegentreten, so sehen es die FPÖ-Juristen. Verfassungsrechtsexperten wie Bernd-Christian Funk hingegen betonen, dass für eine erfolgreiche Anfechtung einerseits Manipulationen nachgewiesen werden müssen, und dies in einem Umfang, dass die Differenz der entscheidenden Stichwahlstimmen (31.026) erreicht werden muss. Das 150 Seiten starke Konvolut, das FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache bereits am Mittwochvormittag beim Verfassungsgerichtshof eingereicht hat, wurde dann, anders als am Mittwoch angekündigt, von der FPÖ doch nicht online veröffentlicht. Man wolle die Arbeit des VfGH nicht beeinflussen, so die FPÖ-Erklärung.

8. Juli könnte nicht halten

Das Gros der FPÖ-Vorwürfe bezieht sich auf Verstöße gegen das gesetzlich vorgeschriebene Prozedere bei der Wahlkartenauszählung - und nicht auf tatsächlichen Wahlbetrug oder Manipulationsversuche. Von mehr als 573.000 eingelangten Wahlkarten, so Strache am Mittwoch, seien bereits am Sonntag fast 32.000 in einzubeziehende und nicht einzubeziehende Karten vorsortiert worden. Dieses Prozedere ist laut Bundeswahlbehörde aber erlaubt. Interessanter verhält es sich bei jenen Wahlkarten, die bereits vor Beginn der Auszählung am Montag geöffnet wurden. Bei 120.000 Stück, so Böhmdorfer in der "ZiB2", sei dies zutreffend. Sie wären damit eigentlich ungültig gewesen, seien jedoch bei der Auszählung als gültige Stimmen gewertet worden. Die Rechnung der FPÖ scheint einleuchtend: Abgesehen von der Frage, ob bei den geöffneten Karten vor der Auszählung manipuliert worden sein könnte, würden diese damit ungültigen Stimmen reichen, um das Stichwahlergebnis zu kippen.

Insider und Beobachter gehen davon aus, dass es der VfGH in vier Wochen nicht schaffen wird, alle Vorwürfe entsprechend zu prüfen. Unrichtig ist auch, dass die vierwöchige Frist für die Verfassungsrichter bindend ist. Ein im Juni 2014 gefasster VfGH-Beschluss interpretiert die Frist als ein "Soll", nicht als "Muss". Stehen verfahrensrechtliche Vorschriften im Wege, müsse die Behörde nur möglichst rasch entscheiden. Man arbeite jedenfalls mit Hochdruck daran, bis 8. Juli eine Entscheidung zu treffen, sagt Christian Neuwirth, Sprecher des VfGH. Ein Vorverfahren wurde bereits eingeleitet, bis 17. Juni müssen sämtliche Wahlunterlagen und Protokolle der betroffenen Wahlbehörden beim VfGH eingetroffen sein. Die Bundeswahlbehörde kann zudem eine Stellungnahme vorlegen, ist dazu aber nicht verpflichtet. Eine solche werde dem VfGH aber vorgelegt, kündigte ÖVP-Innenminister Wolfgang Sobotka am Mittwoch an.

"Die da oben" sind gegen uns

Dabei geht es der FPÖ nur vordergründig um eine Chance auf eine Stichwahlwiederholung. Schon Wochen vor dem ersten Wahldurchgang am 24. April geisterten Gerüchte über mögliche Wahlmanipulationen durch die sozialen Netzwerke im Internet. Hatte die FPÖ von Anfang an den Plan, die Wahl anzufechten? Die Verstöße gegen das Auszählungsprozedere führen weit über das klassische FPÖ-Milieu hinaus zu heftiger Kritik. Der Vorwurf des Dilettantismus steht im Raum, auch wenn die Wahlbehörde schon während der Stichwahl darauf hingewiesen hatte, dass eine sofortige Auszählung der Wahlkarten noch am Wahlsonntag viel zu lange dauern würde.

Eine sofortige Anfechtung der Wahl kam für die FPÖ nicht infrage, sie benötigte Zeit, um die Vorwürfe zusammenzutragen. Auch der Druck der eigenen Anhängerschaft, auch hier wieder vor allem im Internet, habe bei der Entscheidung der Parteispitze eine Rolle gespielt, sagt der Politikexperte Thomas Hofer. Selbst wenn der VfGH die Vorwürfe und Vorfälle als nicht ausreichend für eine Wahlwiederholung werten sollte - der Vorwurf von Schlampigkeit, Schiebung oder gar potenzieller Verschwörung gegen einen FPÖ-Bundespräsidenten bliebe weiter im Raum stehen. "Die da oben sind gegen uns, und eigentlich sitzt der Falsche in der Hofburg, das würde für die FPÖ überbleiben", so der Politikexperte Hofer. Das schweißt die FPÖ-Wählerschaft zusammen, stärkt Ressentiments und Misstrauen gegen "das System" und schafft eine permanente Wahlkampfsituation - genau das, was die FPÖ nach Norbert Hofers gutem Abschneiden braucht.

Neuaustragung oder nicht: Hofers Chancen, zumindest kurzzeitig Präsident zu werden, sind so schlecht nicht. Gibt es am 8. Juli keine VfGH-Entscheidung, übernimmt interimistisch das Parlamentspräsidium, also auch der Dritte Nationalratspräsident Hofer, die Amtsgeschäfte des Bundespräsidenten.