"Der Sozialstaat frisst den Staat nicht auf, sondern sichert ihn." Mit diesen Worten wandte sich Werner Vogt gegen Argumente zur Unfinanzierbarkeit des Sozialwesens in seiner jetzigen Gestalt. Gemeinsam mit anderen InitiatorInnen stellte er am Wochenende das Volksbegehren für den Sozialstaat vor.
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"Wir wollen klarstellen, dass der Sozialstaat uns gehört, wir müssen ihn gestalten und vertreten." Seit Jahren versucht Werner Vogt, dieser Überzeugung entsprechend Ausdruck zu verleihen. Die Idee, den Sozialstaat in der Verfassung zu verankern, stieß jedoch lange Zeit auf wenig Gegenliebe bei politischen Parteien. Erst heuer hat sich eine unabhängige Plattform gebildet, die das Volksbegehren "Sozialstaat Österreich" organisiert. Morgen, Mittwoch, ist dessen offizieller Start.
Die Liste der UnterstützerInnen ist mittlerweile beachtlich: Sie umfasst zahlreiche soziale Einrichtungen, kirchliche Organisationen und auch Grüne sowie SPÖ-Klubs. Damit, dass auch die Regierungsparteien die Initiative mittragen, rechnen die OrganisatorInnen kaum. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hatte vor wenigen Wochen zwar ein klares Bekenntnis zum Sozialstaat abgelegt. Dieser sei "aber nicht über eine abstrakte Verfassungsbestimmung" weiterzuentwickeln, stellte er fest.
Gegen die Schwächung
Dies sehen die InitiatorInnen erwartungsgemäß anders. Ihrer Ansicht nach, gilt es die gegenwärtige Tendenz zur Schwächung des Sozialstaats aufzuhalten. Dessen "vier Hauptsäulen" - die Kranken- und Unfallversicherung, die Altervorsorge, die Arbeitslosenversicherung sowie das öffentliche Bildungswesen - dürften nicht angetastet werden.
"Der Beitrag des Sozialstaats zum gesellschaftlichen Wohlstand ist unverzichtbar", argumentiert Politikwissenschafter Emmerich Talos. Trotzdem gelte es, das bestehende System umzubauen, da es selektiv sei. So sei es noch immer stark an voll erwerbstätigen Männern ausgerichtet, berücksichtige es etwa zu wenig atypische Beschäftigungsverhältnisse.
Nicht die Augen vor Ungleichheiten zu verschließen, dafür plädierte auch die Politikwissenschafterin Sieglinde Rosenberger. Die Überzeugung, alle Menschen sind gleich, sei zwar in vielerlei Hinsicht begrüßenswert. Doch die Etikette "neo-liberal" blende aus, dass die Ungleichheit steigt - nicht nur zwischen Staaten sondern auch innerhalb eines Landes. Und die sozioökonomisch Schwächeren seien nun mal auf die Hilfe des Staates angewiesen.
Staatliche Verantwortung
Dass dieses System auf Dauer nicht finanzierbar sei, stellen die InitiatorInnen in Abrede. Es könne nicht behauptet werden, dass der Sozialstaat die Verschuldung bewirkt habe, meint Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister. Auch könne der Staat nicht seine Verantwortung abgeben. Eine private Altersvorsorge mittels Pensionskassen etwa wäre weniger effizient als das Umlageverfahren der staatlichen Pensionen; Wegen ihrer Abhängigkeit von den Finanzmärkten könnten die Pensionskassen leicht in Schwierigkeiten geraten.
Auch das Argument von der Alterspyramide müsse relativiert werden. Im Jahr 1999 kamen auf 1.000 Erwerbstätige 620 PensionistInnen. Prognosen, die für das Jahr 2030 ein Verhältnis von eins zu eins voraussagten, seien mittlerweile zurückgenommen. Auf 1.000 Erwerbstätige werden 720 PensionistInnen kommen.
Es stimme nicht, dass Berufstätige in dreißig Jahren bei gleichem Gehalt mehr Beiträge zahlen müssten. Denn es steigen ja auch die Gehälter, erläuterte Christine Mayrhuber. Die Ökonomin sieht sehr wohl einen Spielraum zur Finanzierung der Alters- oder Krankenvorsorge. Dafür sei allerdings ein progressives und gerechtes Steuersystem notwendig. So würden soziale Maßnahmen durch mehr direkte Steuern finanzierbar.
"Österreich ist ein reiches Land, und wir werden immer reicher", stellte Mayrhuber klar. Dieser Reichtum sollte gerecht verteilt werden; die Verantwortung - auch für Schwächere - müsse die Solidargemeinschaft tragen. Denn im Endeffekt profitieren von einem Sozialstaat alle Teile der Bevölkerung.