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Von Vergessen keine Rede

Von Barbara Ottawa

Politik

Wenn sie aus der U-Bahn-Station auf die Straße tritt, ist es jeden Tag der Geruch, der sie an den 11. September erinnert. Elizabeth Bakalar, 24, war eine derjenigen, die dem Inferno im World Trade Center entfliehen konnten. Zoe Risutto, 28, hingegen zuckt zusammen, wenn sie ein Flugzeug hört. Jeder geht mit dem Erlebten anders um, resümiert Robert Pynoos, Direktor der Traumapsychiatrie an der Universität von Kalifornien. Einige kommen schon nach einigen Wochen damit klar, andere brauchen ein ganzes Leben dafür.


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Die Überlebenden müssten jetzt versuchen, ihre Gefühle zu kontrollieren, die sie haben, wenn sie an das schreckliche Ereignis denken. "Gerüche, Sirenen, Fernsehbilder, Gedenktage, hohe Gebäude oder ein Schrei, den man vor dem Fenster hört, können diese Aufgabe erschweren", erläutert der Arzt.

Sie erinnern die Patienten an das, was am 11. September geschehen ist und verlangsamen die Genesung. Das Problem sei, dass die Menschen in einer Welt voll mit solchen Dingen, die die Erinnerung wach rufen können, leben. Aber nicht für jeden ist diese Erfahrung gleich ausgeprägt. Risutto dachte zum Beispiel, ihr Weg zur Arbeit würde sie zu sehr an die Ereignisse vom 11. September erinnern. Aber nach dem ersten Tag fand sie heraus, dass dem nicht so war. Dafür sind es andere Dinge, die ihr Angst machen.

Stresshormone als Ursache

Warum sich Erinnerungen an traumatische Erlebnisse so einfach wach rufen lassen, lässt sich wissenschaftlich erklären. Starke Emotionen führen zu einer Ausschüttung von Stresshormonen. Wenn diese in einer hohen Dosis vorhanden sind, werden in einem Teil des Gehirns, der in der Kontrolle von Emotionen eine wichtige Rolle spielt, Erinnerungen geprägt, die lang anhalten und einfach abrufbar sind, erklärt James McGaugh, Direktor des Zentrums für Neurobiologie für Lernen und Erinnerung an der Universität von Kalifornien.

Das Gegenmittel sei nicht, Dinge, die die Erinnerung wach rufen, zu vermeiden, sondern sie zu dosieren. Nachrichten hören, lesen oder sehen sollte man zum Beispiel zunächst auf eine Stunde pro Tag beschränken. Fernsehbilder würden vor allem bei Kindern das Verarbeiten der Erinnerung erschweren. "Sie sind einfach zu stark", erklärt McGaugh. Mit jemandem darüber reden sei ein weiterer guter Schritt in Richtung Verarbeitung des Erlebten, sind sich diverse Psychologen einig.

Viele wissen noch, was sie gemacht haben, als Kennedy erschossen wurde. Wir alle werden wahrscheinlich noch lange wissen, was wir am 11. September gemacht haben.