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Von wegen Jahr des europäischen Bürgers

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Während Millionen von Europäern um ihre Jobs zittern, wird die aufgeblähte EU-Kommission noch aufgeblähter - und bestätigt damit Vorurteile.


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Angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit in der EU schreitet die Union jetzt wacker zur Tat und schafft endlich Arbeitsplätze: Um für den Kroatien nach dem Beitritt des Landes ja zustehenden Kommissar eine Agenda zu finden, wird das Ressort "Gesundheit und Verbraucherschutz" aufgespalten, was vorher ein Kommissar erledigt hat, besorgen also künftighin zwei. Damit wird nicht nur ein zusätzlicher Job für einen zusätzlichen Kommissar geschaffen, sondern natürlich auch Stellen für Assistenten und Sekretäre, Kabinettsleiter und deren Untergebene, Fahrer und Bürohelfer - ein wirkungsvoller Beitrag zu Bekämpfung der Jobmisere in der EU also.

Damit das kein Einzelfall bleibt, wird die Anzahl der EU-Kommissare, die laut dem Vertrag von Lissabon ab dem nächsten Jahr eigentlich deutlich verkleinert werden sollte, nun doch nicht verringert, sondern bleibt mit 28 so aufgebläht, wie sie vom durchschnittlichen Europäer empfunden wird. Das wurde diese Woche in Brüssel so ohne allzu viel Aufhebens endgültig beschlossen.

Von den dadurch entstehenden Kosten her ist das freilich keine große Aufregung wert: Da wird in Europa deutlich mehr Geld für deutlich größere Dummheiten beim Fenster hinausgeworfen. Als Symbol freilich ist diese Unfähigkeit, auch die Exekutive der Union schlanker zu gestalten, ein ziemliches Desaster. Eine Kommissars-Stelle zu spalten, um Platz für zwei Top-Verdiener samt deren Entourage zu schaffen, ist nicht sehr hübsch anzusehen für Millionen von Europäer, die täglich um ihren Job fürchten müssen, deren Einkommen sinken und deren Lebensaussichten sich krisenbedingt eintrüben wie das Wetter in Brüssel im November. Deren eh schon ziemlich fest zementiertes Vorurteil vom bürokratischen Moloch Europäische Union wird dadurch nicht eben erschüttert werden.

Dabei wäre es völlig falsch, "der EU" die Schuld für diese falsche Entscheidung zuzuschieben. Dass die Kommission nicht verkleinert wird, wie das seinerzeit in Lissabon vereinbart worden ist, haben nämlich ausschließlich die 27 Staats-und Regierungschefs der EU beschlossen und nicht "die EU", wie das nun fälschlicherweise allgemein rezipiert wird.

Der EU - genauer: der Kommission - kann ein gravierender Vorwurf trotzdem nicht erspart bleiben: dass sie sich nicht mit Händen und Füßen gegen diese Feigheit der Regierungschefs gewehrt hat. Hätte Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso etwa öffentlich angeprangert, dass hier Geld der europäischen Steuerzahler vergeudet wird und ehern darauf bestanden, die Kommission wie vereinbart zu verkleinern, hätte er mehr für die Europäische Union und ihre Akzeptanz bei der Bevölkerung geleistet als hunderte hülsenhafte "Friedensprojekt Europa"- Sonntagsreden zusammen.

Doch Herr Barroso weiß natürlich, wer über die begehrten Jobs an der Spitze der Europäischen Exekutive entscheidet - nämlich genau jene Regierungschefs, denen er nun im Interesse der EU und ihrer Bürger entgegentreten müsste.

Die EU hat übrigens 2013 zum "Jahr der Bürger" erklärt. Die dürften sich angesichts derartiger Geschehnisse freilich eher gepflanzt denn ernst genommen fühlen.

ortner@wienerzeitung.at