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Von Zarensöhnen und Demokratie

Von Antje Krüger, Sofia

Politik

Heute, Samstag, wird in Bulgarien gewählt. Nach vier Jahren der Mitte-Rechts-Regierung des ehemaligen Zarensohn Simeon II von Sachsen-Coburg-Gotha rechnen jetzt die Sozialisten mit einem Wahlsieg.


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Track, track, track knallen die Stiefel im Gleichschritt auf das Kopfsteinpflaster vor Sofias Präsidentenpalast. Wachablöse. In weißer Gardeuniform marschieren die Soldaten. Goldene kyrillische Lettern zieren das Haus des obersten Staatschefs. "Bulgarien ist eine Republik. Jedoch ist interessant, dass unser Premierminister, Simeon Saksokoburggotski, der Sohn des ehemaligen bulgarischen Zaren Boris III ist", erklärt Stadtführerin Denitsa Vecheva sarkastisch. Ein Zarensohn, der nun wahrscheinlich sein Amt verlassen muss.

Am 25. Juni wird in Bulgarien gewählt. Mehr als 20 Parteien und Bündnisse stellen sich zur Wahl der Narodno Sabranje, der Volksversammlung. Seit 15 Jahren wechseln sich demokratischen und sozialistischen Regierungen in Bulgarien ab. Nun sind die Sozialisten seit 1997 erstmals wieder auf dem Vormarsch. Sie haben es geschafft, aus dem Groll der Bevölkerung Kapital zu schlagen und ihre gesamte Wählerschaft zu mobilisieren. 40 Prozent der Wahlberechtigten wollen laut letzten Meinungsumfragen dem linken Parteienbündnis Koalition für Bulgarien (KB) ihre Stimme geben. Der einstige Hoffnungsträger, Premierminister Simeon von Sachsen-Coburg-Gotha, liegt dagegen mit seiner Partei Nationale Bewegung Simeon II (NDSW) rund 23 Prozent weit abgeschlagen hinten.

Simeon II war sechs Jahre alt, als sein Vater 1945 starb. Ein Jahr später wurde Bulgarien als Republik ausgerufen und die ganze Zarenfamilie ging nach Spanien ins Exil. Bis zum Jahr 2001, da kam Simeon II zurück, gründete die NDSW und verfehlte nur um ein einziges Mandat die absolute Mehrheit. "Damals sprach er nur stotternd bulgarisch, aber sie wählten ihn quer durch alle Parteien. Sein Vater hatte große Achtung bei den Bulgaren genossen und Simeon II war der reiche Magnat aus dem Westen. Sie hofften, er wäre das Tor zur Welt", sagt Welislawa Todorowa. Die seit Jahren in Deutschland lebende Bulgarin erlebt ihr Land mit dem Abstand, den die räumliche Distanz erlaubt. Georgi Iliev aus Sofia erklärt: "Die Bulgaren hatten alle Hoffnungen auf Simeon II gesetzt. Geblieben ist die Enttäuschung. Er kennt weder unser Land noch unsere Kultur. Er hat viel zu lange außerhalb gelebt."

NDSW ohne Bündnispartner

Neben den Sozialisten und der NDSW werden laut Umfragen mit ziemlicher Sicherheit auch die Union Demokratischer Kräfte (ODS/bis zu 15 Prozent) und die Türkenpartei DPS (bis zu neun Prozent) die Vier-Prozent-Hürde nehmen und ins Parlament einziehen. Der Juniorpartner der bulgarischen Regierungskoalition, die Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS), will nach der Wahl am Samstag die Seiten wechseln und sich mit den favorisierten Sozialisten verbünden. Chancen auf Mandatssitze werden auch der rechtsgerichteten Volksunion BNS sowie der rechtsnationalen DSB (Demokraten für starkes Bulgarien) des früheren Ministerpräsidenten Iwan Kostow eingeräumt.

Um möglichst viele Wähler zu mobilisieren hat die bulgarische Regierung zu ungewöhnlichen Mitteln gegriffen: Unter den rund 6,3 Millionen Wahlberechtigten, die ihre Stimme am 25. Juni bei der Parlamentswahl abgeben, werden nach der Stimmenauszählung Geschenke verlost. Den Gewinnern winken Bücher und Handys im Gesamtwert von etwa 400.000 Euro.

Bulgarien sucht seit dem Ende des Sozialismus einen eigenen Weg. Das Land bekam kein neues politisches System übergestülpt - eine Chance und Bürde zugleich. Die Suche endete 1997 mit dem Sturz der sozialistischen Koalition fast in der Katastrophe. "Eine furchtbare Zeit", sagt Georgi Iliev nur. Das Schweigen verrät mehr über das Trauma als lange Erklärungen. "Die Leute sind sehr depressiv. Wer kann, der geht. Der Umbruch hat tiefe Spuren hinterlassen", erklärt Welislawa Todorowa.

Alle Regierungen kämpfen mit den Strukturschwächen des Landes. Inzwischen sind zaghafte Zeichen eines ersten Aufschwungs zu sehen. Im letzten Jahr konnte Bulgarien ein Wirtschaftswachstum von 5,5 Prozent verbuchen und verschiedene ausländische Investoren ins Land holen. Neu und alt stehen einander gegenüber: teure Investition und Zerfall, Westsymbolik und Osterinnerung. Da blinkt Mac Donalds in lateinischen Lettern groß auf einem Schild, darunter werden die Burger in kyrillischer Schrift gepriesen. Vor der Fast-Food-Kette stehen ein Mercedes und ein Wartburg. Da hängt in einem Haus am Todor-Alexandrow-Boulevard eine Frau Wäsche auf den Balkon. Das Bild ihrer roten Bluse, dem einzigen Farbfleck vor der grau-bröckelnden Fassade, spiegelt sich gegenüber in der Fensterfront eines Fünf Sterne Glaskastenhotels. Oben in der Frühstückslounge sitzen derweil zwei Herren im tadellosen Anzug. Sie unterhalten sich gedämpft auf deutsch und wälzen Listen mit Unmengen von Zahlen beim schwarzen bulgarischen Kaffee: Einnahmen, Ausgaben, Bilanzen. Deutschland ist Bulgariens wichtigster Handelspartner.

Wahlkampfthema Armut

Doch an den Lebensbedingungen der Bevölkerung hat dies bisher wenig geändert. Laut einer Studie der Weltbank leben 45 Prozent der Bulgaren unterhalb der Armutsgrenze. Selbst hochstudierte Ärzte verdienen nicht mehr als 500 Leva (250 Euro) im Monat, das Durchschnittsgehalt liegt bei 200 Leva (100 Euro). An allen Straßen finden sich fliegende Händler. Die ersten Kirschen aus dem eigenen Garten werden feilgeboten, Zwiebeln, Tomaten, Kartoffeln. Der Handel bringt ein winziges Zubrot.

Genau hier setzt auch die Wahlwerbung sämtlicher Parteien an. Alle zielen sie auf die wunden Punkte, versprechen ein höheres Wirtschaftswachstum, die Anhebung der Löhne, die Senkung der Steuern sowie Verbesserungen im maroden Gesundheitssystem. Ein Wahlsieg der Sozialisten wird vor allem in der Wirtschaft kritisch beobachtet, die eine Fortsetzung der Regierung unter Führung der wirtschaftlich liberalen NDSW vorziehen würde. Der für Jänner 2007 vereinbarte Beitritt des Landes zur Europäischen Union (EU) und die enge Bindung der bulgarischen Währung an den Euro setzten größeren Veränderungen in der Wirtschaftspolitik nach einem Regierungswechsel allerdings enge Grenzen, sagen Investoren. Die Sozialisten wollen 240.000 neue Arbeitsplätze schaffen und den Durchschnittslohn auf 600 Leva (300 Euro) heben. Die Bewegung Simeon II will einen Fond zur Sicherung der Renten schaffen und verspricht 500 Leva durchschnittliches Gehalt. Doch sind die Erwartungen der Bevölkerung nach der Enttäuschung vor vier Jahren stark gesunken. Weder die Sozialisten noch der Zarensohn fanden einen erfolgversprechenden Weg für Bulgarien. Nun muss weitergesucht werden.