Das Projekt "Sicherheit und Polizei" will Vorbehalte von Asylwerbern gegenüber der Exekutive abbauen.
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Wien. "Löst Probleme erst mal selbst und geht nur im Notfall zur Polizei." Diese Ansicht ist unter Flüchtlingen, vor allem aus dem arabischen Raum, stärker verbreitet. Das Vertrauen in die Exekutive ist oft nicht groß, da die Beamten in den Herkunftsländern meist in Selbstjustiz agieren, wie Roland Fahrnberger aus der Abteilung Kriminalprävention der Polizei Wien im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" erklärt.
Seit zwei Jahren arbeitet er am Programm "Sicherheit und Polizei", wo er mit Aufklärungsarbeit und seit März auch mit Vorträgen versucht, das Vertrauen in die Polizei seitens der Flüchtlinge zu stärken und schlussendlich auch Vorurteile abzubauen und Verständnis zu schaffen - aber auf beiden Seiten. Mit seinem Team wurde er dafür gestern mit dem Polizeisicherheitsverdienstpreis ausgezeichnet, der außerordentliches Engagement im Polizeidienst würdigt. Der Preis wird heuer zum 40. Mal von der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien an fünf Einheiten vergeben.
Vorurteile wegen Selbstjustiz
Fahrnberger hat nicht erst seit den Fluchtbewegungen 2015 mangelnde Kommunikation und verhärtete Vorurteile zwischen Flüchtlingen, Migranten, der Bevölkerung und auch den Beamten festgestellt. Dass ihm Kollegen von Skepsis der Migranten ihnen gegenüber berichten, ist ebenso keine Seltenheit. Dabei sind die rechtsstaatlichen Gegebenheiten in den Herkunftsländern oft ähnlich wie in Österreich. "Wenn ich von der Gewaltentrennung erzähle, schlafen mir die Syrer während der Vorträge fast ein, weil das bei ihnen im Prinzip genauso ist", meint Fahrnberger scherzend. Wie sich die Beamten in den Herkunftsländern daran halten, ist aber eine andere Sache.
Fahrnberger und sein Team werden regelmäßig von Experten über das Vorgehen der Polizei in den Fluchtländern geschult, um einen Überblick zu bekommen. "Im Zuge dessen wurde uns beispielsweise gezeigt, wie syrische Beamte mittels Stromschlägen ein Geständnis von jemand erzwungen haben, der aus der Not heraus eine kleine Menge an Nahrungsmitteln gestohlen hat", erinnert er sich.
Flüchtlinge selbst halten sich sehr bedeckt, wenn sie von der Exekutive in ihren Heimatländern erzählen. Trotzdem wären sich die Asylwerber und Flüchtlinge im Großen und Ganzen bewusst, dass die heimische Polizei anders arbeitet und sich an die Gesetze hält. "Die stabile politische Lage ist auch ein Hauptgrund, wieso diese Menschen nach Österreich kommen", gibt Roland Fahrnberger zu bedenken.
Der Österreichische Integrationsfonds und die MA17 (Integration und Diversität) sind auch mit an Bord des Projekts, das als Ergänzung zu den Wertekursen fungiert. Diese helfen bei der Verständlichkeit der Vorträge, während die Polizei vor allem den rechtlichen Rahmen beisteuert. Fahrnbergers Team besteht aus insgesamt 25 Personen, davon sind 20 bereits als Vortragende ausgebildet. Hinzu kommen noch Dolmetscher, die für die Vorträge herangezogen werden, dabei werden Arabisch und Farsi am stärksten benötigt.
Das Interesse an den Vorträgen seitens Flüchtlingen und Asylwerbern ist jedenfalls groß. "Die Kurse sind auf 15 Teilnehmer beschränkt, um interaktiv zu bleiben. Bis Ende Dezember werden wir insgesamt tausend Teilnehmer haben", sagt Fahrnberger.
Schon während seines erstens Vortrages im März war es kaum anders. "Ich war anfangs sehr nervös. Aber der Zuspruch war enorm. Ich hatte eigentlich drei bis vier Stunden für meinen Vortrag eingeplant, kam aber nicht zum Ende, weil die Teilnehmer so viele Fragen gestellt haben", erzählt er. Ab wann lautes Reden und Musik als Partylärm und damit Ruhestörung gelte, beispielsweise. Oder aus welchen Gründen man durchsucht werden darf. Oder ob man "pro forma" gleich selbst mitverhaftet wird, wenn man bei der Polizei anruft, um etwas zu melden. "Einige der Teilnehmer haben uns auch gesagt, dass wir ihnen das alles viel früher hätten erzählen sollen", meint Fahrnberger lachend.
Vorträge sind anonym
Die Teilnehmer, die auch dazu aufgefordert werden, von ihren Erfahrungen mit der Polizei zu erzählen, bleiben anonym. Sie werden auch darauf hingewiesen, dass sie angezeigt werden, sollten sie von Straftaten berichten, die sie begangen haben. "Dazu sind wir als Beamte vom Offizialsprinzip her verpflichtet", merkt Fahrnberger an. Dabei geht es aber nicht darum, wegzuschauen. "Es soll eine Vertrauensbasis geschaffen werden, damit die Arbeit möglich ist. Das ist das gleiche Vorgehen, wenn wir zur Suchtprävention in Schulklassen gehen", betont er. Wenn die Teilnehmer später noch Fragen haben, können sie Roland Fahrnberger auch anrufen. "Ich sage immer, dass ich mich darüber freuen würde. Leider hat diese Möglichkeit bisher noch niemand genutzt, wahrscheinlich, weil die Vertrauensbasis noch nicht so hoch ist", räumt er ein.
Wenn die Kursteilnehmer von ihren Erlebnissen mit der heimischen Polizei berichten, erzählen sie meist Neutrales bis Positives, aber auch von Missverständnissen. "Im letzten Kurs hatte ich einen Teilnehmer, der davon berichtet hat, dass er 2014 legal über die Grenze kam. Als er bei der Polizei anrief, um sich zu melden und um Asyl anzusuchen, hatte er nicht verstanden, wieso er trotzdem von den Beamten durchsucht wurde", sagt Fahrnberger. Dass es sich dabei um eine vorschriftsmäßige Routine handelte, war dem Flüchtling nicht bewusst. "Da geht es darum, festzustellen, ob er gefährliche Gegenstände bei sich hat. Nicht nur zum Schutz der Beamten, sondern auch zu seinem eigenen Schutz, damit er sich beispielsweise am Weg zur Ersteinvernahme nicht versehentlich verletzt", betont Fahrnberger.
Das Aufklären solcher Missverständnisse sei immens wichtig. Dahingehend sorgen die Vorträge auch für Bewusstseinsbildung auf beiden Seiten, denn auch die Beamten lernen von den Flüchtlingen. Die Erkenntnisse will die Polizei auch der Bevölkerung vermitteln, um dazu beizutragen, Vorurteile - beispielsweise, dass ein großer Teil der Flüchtlinge kriminell sei - abzubauen und den Umgang miteinander zu fördern. Das Projekt würde im Untertitel nicht um sonst "Austria - different cultures - one statement" heißen. Also ein friedliches Zusammenleben auf Grundlage der Gesetze.
Ausweitung auf ganz Österreich
Die Kursteilnehmer bekommen zur Vertiefung auch eine Broschüre in ihrer Landessprache, in der verschiedene Bereiche nochmals behandelt werden. Von der Rechtsstaatlichkeit über die Aufgaben der Polizei, was sie darf und was nicht und welche Delikte in Österreich strafbar sind. Übrigens ist Roland Fahrnberger öfters aufgefallen, dass sich einige Asylwerber teilweise striktere und klarere Regeln und Gesetze wünschen würden, beispielsweise, was Drogendelikte angeht, wo in Österreich der Ansatz "helfen statt strafen" verfolgt wird. "Das sind vor allem ältere Menschen, die das einerseits aus der Heimat gewohnt sind und sich andererseits einen klareren Verhaltensrahmen für die Jüngeren wünschen", erklärt er.
Derzeit läuft "Sicherheit und Polizei" nur in Wien, das Projekt soll aber auf ganz Österreich ausgeweitet werden. Dazu müsse innerhalb der Polizei aber erst eine Struktur gebildet werden, damit die Kollegen einander für die Vorträge ausbilden können, sagt Fahrnberger, Die stetige Aufklärungsarbeit sei aber allgemein enorm wichtig, wie er betont. "Die Ziele des Projekts habe ich symbolisch als Weg definiert. Wenn man ihn nicht regelmäßig geht, verwildert er und wächst irgendwann zu", sagt er.