)
Holocaust-Bürokrat vom Mossad gefasst. | Buenos Aires. (dpa) "Eichmann schrie wie ein Tier auf der Schlachtbank." So schilderte der israelische Geheimagent Zvi Aharoni den Augenblick, in dem der Organisator des Holocaust, Ex-SS-"Obersturmbannführer" Adolf Eichmann, in den Abendstunden des 11. Mai 1960 in Argentinien von Israelis entführt wurde. Ohne Wissen der argentinischen Regierung wurde der einstige Leiter des "Judenreferats im Reichssicherheitshauptamt" nach Israel gebracht, wo er 1961 nach einem Prozess zum Tode verurteilt und am 31. Mai 1962 durch den Strang starb. Die Holocaust-Überlebenden richteten die Täter.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die Geheimagenten zerrten Eichmann, der seit 1950 unter dem Namen Ricardo Klement in Argentinien lebte, am Abend der Entführung in ein Auto.
Israel hatte nur 15 Jahre nach der Befreiung der KZ und Vernichtungslager einen der wichtigsten Nazi-Verbrecher aufgespürt und zur Verantwortung gezogen. Ein Erfolg des jungen jüdischen Staates, der der Welt das Grauen der Shoah vor Augen führte, betont der Direktor für internationale Angelegenheiten des Simon-Wiesenthal-Zentrums, Shimon Samuels, gegenüber der DPA. Soweit die offizielle Geschichte.
Aber viele Einzelheiten liegen auch 50 Jahre später wegen verschlossener Archive im Dunkeln und lassen somit viel Platz für Theorien. So sagt etwa die in Buenos Aires lebende freischaffende Journalistin Gaby Weber. "Ich finde es beschämend, dass heute immer noch viele an der Mossad-Version festhalten". Diese Darstellung sei eine einzige Lüge: 1960 sei nicht der Mossad, sondern ein kleinerer israelischer Geheimdienst am Werk gewesen, der in Argentinien Atomtechnologie "beschafft" habe. Eichmann sei auch nicht wegen seiner Verbrechen nach Israel gebracht worden, sondern wegen seines Wissens um ein "geheimes Dreiecksgeschäft".
Bei Historikern wie dem Argentinier Uki Goni löst Weber mit solchen Aussagen Stirnrunzeln aus. Noch weniger Verständnis hat er für die deutschen Behörden: "Es ist eine nationale Schande und ein internationaler Skandal, dass Deutschland weiterhin seine Archive der Nachkriegszeit über Nazi-Verbrecher geschlossen hält." Goni hat sich intensiv mit der sogenannten Rattenlinie befasst, auf der Nazi-Verbrecher nach dem Krieg über die Schweiz mit Hilfe deutscher Nazi-Sympathisanten, italienischer Faschisten, Vertretern der katholischen Kirche und des argentinischen Staates nach Südamerika geschleust wurden. Sein Buch "Odessa: Die wahre Geschichte" ist eine detailreiche Darstellung dieser Fluchthilfe, die außer Eichmann auch andere Nazi-Verbrecher wie den KZ-Arzt von Auschwitz, Josef Mengele, den berüchtigten Kommandanten des Ghettos von Przemysl, Josef Schwammberger, und den Mittäter an den Massakern in den Ardeatinischen Höhlen, Erich Priebke, nach Argentinien entkommen ließ.
Was die deutschen Behörden über die Flucht Eichmanns und sein Leben unter falschem Namen in Argentinien wussten und wie tief sie eventuell selbst verstrickt waren, darüber könnten die Bundesnachrichtendienst-Archivunterlagen Auskunft geben. Das Bundeskanzleramt als Aufsichtsbehörde verweigert das jedoch bisher. Die Dokumente stammten überwiegend von einem "befreundeten Geheimdienst", bei dem es sich nicht um die CIA handle, und deren Herausgabe gefährde die deutsche Nahostpolitik sowie die Zusammenarbeit mit ausländischen Geheimdiensten, lautet die Begründung. Weber klagte und bekam Ende April vom Bundesverwaltungsgericht recht. Die Geheimhaltungsgründe seien nur teilweise berechtigt und erlaubten keine vollständige Zurückhaltung der Akten, entschieden die Richter in Leipzig.