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Vor 65 Jahren wurde in Mexiko der Gründer und Führer der Russischen Kommunistischen Arbeiter- und Bauernarmee, der späteren Roten Armee, Leon Trotzki, ermordet. Damit ging ein eineinhalb Jahrzehnte dauernder ungleicher Machtkampf mit dem sowjetischen Diktator Josef Stalin zu Ende, der immer befürchten musste, dass ihm der intellektuell überlegene Trotzki eines Tages die Macht in Moskau entreißen könnte.
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Viele Bücher und Zeitschriften im Haus des berühmten Flüchtlings zeugen auch heute davon, dass Trotzki gegen Stalin bis zum Ende mit Worten gekämpft hatte. Drei Jahre lebte der russische Revolutionär in Mexiko - von 1937 bin zu seiner Ermordung im August 1940.
"Trotzki wusste, früher oder später würde Stalin ihn umbringen", sagt Esteban Wolkow, der Enkel Trotzkis. Wolkow war Teenager, als schwer bewaffnete Männer in das Haus seines Großvaters im Stadtteil Coyoacan von Mexiko-Stadt eindrangen. Das war der erste Versuch Stalins, Trotzki in Mexiko umzubringen. Das Attentat scheiterte und wie durch ein Wunder überlebten die Trotzkis. Doch drei Monate später, am 21. August 1940, schlug dem inzwischen über 61 Jahre alten Mann ein vorgeblicher belgischer Journalist mit einem Eispickel den Schädel ein.
"Das Haus wurde nach dem ersten Mordversuch befestigt", erklärt Wolkow, der Sohn von Trotzkis Tochter Sinaida. Die Mauern wurden erhöht, Holztüren durch Eisentüren ersetzt, Fenster teilweise zugemauert. "Sieben bis acht Wachleute schützten das Anwesen", erinnert sich Esteban. Er hat viele Jahre seines Lebens in dieser kleinen Festung an der verkehrsreichen Inneren Ringstraße im Süden von Mexiko-Stadt zugebracht.
Mitten in dem blühenden und gepflegten Garten, wo Trotzki Kakteen züchtete, wurden ein Grabmal mit Hammer und Sichel und der roten Fahne errichtet. Dort ist die Asche von Trotzki und seiner Frau Natalja, die 32 Jahre später, in Paris, gestorben war, beigesetzt. Wie durch ein Wunder überlebte auch Esteban den ersten Angriff, zusammengekrümmt in seinem Bett im Nachbarzimmer des berühmten Großvaters. Heute lächelt der 78-Jährige mit den vielen Falten um seine himmelblauen Augen freundlich, wenn er vor dem Bett steht.
Vor wenigen Wochen wurde Wolkow erneut auf unangenehme Weise mit den Ereignissen von vor 65 Jahren konfrontiert. Es meldete sich Ana Alicia Salas, die Tochter eines mexikanischen Polizisten. Sie behauptet, das Mordwerkzeug, den noch immer mit Blutspuren versehenen Eispickel, in ihrem Besitz zu haben. Ihr Vater, der zur Ermittlergruppe rund um den Mord im Jahre 1940 gehört hatte, habe seinerzeit das Eisengerät an sich genommen und versteckt.
Der Eispickel ist zwar auf Fotos und in den Zeitungen zu sehen, die heute im Trotzki-Museum aushängen. Aber er galt von Anfang an als verschwunden. Jetzt wird das Blut von Esteban, dem Enkel, benötigt, um wissenschaftlich festzustellen, ob es sich tatsächlich um das Mordinstrument handelt. Er sei nur bereit, einem Test zuzustimmen, wenn der Eispickel, falls sich die Echtheit herausstelle, auch im Museum ausgestellt werde, sagt Wolkow dazu. Er aber vermutet, dass jemand darauf aus sein könnte, Geschäfte zu machen.
Der Enkel des Revolutionärs lebte sein Leben in Mexiko, heiratete, hat vier Töchter und eine Reihe von Enkelkindern. Russisch hat er nie gelernt. Doch neuerdings gibt es Kontakte: Seit dem Zusammenbruch der kommunistischen Sowjetunion kommen gelegentlich seine verhinderten Landsleute, der russische Botschafter und die Korrespondenten aus Moskau, auf ihn zu, um ihn nach Trotzki zu befragen. Stalin hatte seinen alten Widersacher nicht nur getötet, sondern auch aus allen Dokumenten wegretuschieren lassen. (dpa/WZ online)