Zum Hauptinhalt springen

"Vor allem ist hier strengste Wissenschaftlichkeit gefordert"

Von Christa Karas

Wissen

Seit der Entschlüsselung des Human-Genoms erregen vor allem zwei Themen der medizinischen Wissenschaft mehr als alle anderen die Gemüter, nämlich das Klonen von Menschen - gegen das es fast weltweit einen einhellig ablehnenden Konsens gibt - und die Stammzellforschung, die in den Mittelpunkt der bioethischen Diskussion gerückt ist, weil sie einerseits fast unglaubliche Möglichkeiten in der Reparaturmedizin eröffnet, andererseits aber - keineswegs unbegründete - Ängste vor Frankenstein-Szenarien von ausschließlich zu diesem Zweck gezüchteten Embryonen aufkommen lässt. Bedenken melden in diesem Zusammenhang nicht nur Theologen und Ethiker an, sondern auch in die Materie involvierte Forscher - wenn auch zum Teil aus unterschiedlichen Gründen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

So etwa warnte der Pathophysiologe Meinrad Peterlik (AKH Wien) am Rande des Europäischen Forum Alpbach vor dem Erwecken von "Heilserwartungen" durch die Stammzellentherapie. Sie habe "sicher nicht" ein Potenzial bei zahlreichen Herz-Kreislauf-Erkrankungen - so Peterlik immerhin trotz der kurz bevorstehenden ersten Stammzelltransplantation an einem Herzkranken am AKH Wien -, auch in der Onkologie sei derzeit eine "Indikation für embryonale Stammzellen nicht gegeben". Adulte Stammzellen und solche aus der Nabelschnur seien dagegen "Substrate für aufregende Forschung, die ethisch nicht sensitiv sind". Peterlik, der Mitglied der Bioethik-Kommission ist, plädiert für ein Moratorium oder eine Selbstbeschränkung der Wissenschaft, solange dieses Potenzial nicht ausgeschöpft ist.

Relevante Forschung nötig

Der Wiener Immundermatologe Georg Stingl sprach sich dafür aus, "dass in Österreich überhaupt relevante Stammzellforschung betrieben wird". Stingl: "Forschung muss von Fall zu Fall ausdiskutiert werden. Das ist ethischer als die Trennung von öffentlicher und privater Forschung wie in den USA." Die Vermischung mit der Abtreibungsdebatte hält Stingl für nicht weiterführend. "In beiden Fällen tötet man." Nicht die Barriere zu töten sei in der Biotechnologie Besorgnis erregend, sondern "das, was keiner anspricht, die Angst vor etwas Neuem, von dem man noch nicht weiß, was es ist." Hier zu Lande gebe es, so der Forscher, einen "enormen Informationsbedarf".

Ähnlich äußert sich auch Univ.-Prof. Dr. Paul Höcker, Leiter der Abteilung für Transfusionsmedizin am AKH Wien, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Kaum jemand in Österreich verfügt über so viel an Erfahrung auf dem Gebiet der Stammzellforschung wie der international anerkannte Experte, der es in mehr als 20 Jahren dieser Tätigkeit gelernt hat, auch Rückschläge mit einem gewissen Stoizismus hinzunehmen und sich nie "zu früh zu freuen", weil selbst die überzeugendste Theorie immer wieder durch die Praxis widerlegt wird.

Höckers besonderes Augenmerk lag in den vergangenen Jahren auf den von Peterlik "nicht sensitiv" genannten adulten (erwachsenen) Stammzellen und jenen aus Nabelschnurblut, die bisher zur Therapie bestimmter Blutkrebsformen eingesetzt wurden. Doch eine echte Alternative zu embryonalen Stammzellen stellen solche aus Nabelschnurblut - jedenfalls bis jetzt - nicht dar, wie Höcker vorrechnet:

Mangelnde Effizienz

"Aus der Untersuchung von 5.000 Nabelschnüren ergeben sich eventuell vier verwendbare, die jeweils nur wenige Stammzellen - weniger als 0,01 Prozent aller Leukozyten pro Milliliter Blut - enthalten, die wir derzeit maximal um das Vier- bis Zehnfache vermehren können. Das Gesamtverfahren von der Gewinnung an ist derart aufwändig, dass die Kosten deshalb für eine Transplantion bei 1 Million Euro (mehr als 13,7 Mill. S) liegen."

Dem entspricht die Bilanz: Bisher wurden weltweit mehr als 1.500 Patienten, in erster Linie Kinder (in Österreich sieben), mit dieser Methode transplantiert. Das begrenzte Reservoir an Zellen macht eine Transplantation nur bei Patienten mit einem Körpergewicht von maximal 40 Kilo sinnvoll, so Höcker, weshalb das Verfahren bei Kindern am erfolgreichsten ist. 70 Prozent von ihnen überleben, aber nur 30 Prozent der Erwachsenen.

Kommt hinzu, dass die theoretischen Vorteile der Nabelschnurimplantation - wie etwa ihre geringere Immunität und damit ihre bessere Gewebsverträglichkeit - bis jetzt nicht überzeugend bestätigt worden sind. Und ob ein "verbessertes oder verringertes Angehen der Nabelschnurblutzellen, verglichen mit Stammzellen aus dem Knochenmark oder dem peripheren Blut besteht", so der Fachmann, "muss auch erst durch Langzeitstudien bestätigt werden". Derzeit entwickelten sich jedenfalls am meisten jene Stammzellen, die bereits am entwickeltsten seien.

Sollte man dennoch damit beginnen, Stammzellen aus dem Nabelschnurblut Neugeborener für deren eventuellen autologen (eigenen) Bedarf im späteren Leben zu konservieren? - Höcker: "Wir haben seinerzeit vor allem die Plastizität der Zellen aus Nabelschnurblut getestet. Die einfachste und sicherste Möglichkeit der Konservierung besteht im Einfrieren. Unsere ältesten Stammzellen sind jetzt 15 Jahre alt, wenn wir sie auftauen, finden wir gerade noch 60 Prozent überlebende vor. Man müsste also zuerst eine Verbesserung des Verfahrens finden, aber auch jene Beeinträchtigungen bedenken, die schon beim Einfrieren entstehen, wo bis zu zehn Prozent der Stammzellen an Vitalität verlieren."

Geringe Wahrscheinlichkeit

Bisher gab es weltweit keine einzige autologe (eigene) Transplantation von aus Nabelschnurblut gewonnenen Stammzellen - und auch die Wahrscheinlichkeit, eine solche je zu benötigen, liegt bei 0,0006 Prozent, wie der Hämatologe und Medizinethiker . Johannes Gobertus Meran (Wilhelminenspital Wien) vor einiger Zeit bei einem Symposium zu Fragen der Stammzelltherapie am Österreichischen Institut für Rechtspolitik in Salzburg ausgeführt hat.

In Geschäftsnähe

Was wiederum den Verdacht nährt, dass Wissenschaft - auch wenn man ihr beste Absichten unterstellt - doch relativ leicht ins Fahrwasser des Business geraten kann. Denn während Wien gerade dabei ist, eine öffentlich zugängliche Nabelschnurbank zum Zweck allogener (fremder) Spenden einzurichten und die Spitäler werdende Mütter darüber informieren und um deren Einverständnis zur Verwendung dessen ersuchen, was bisher organisches Abfallprodukt war, gehen die Uhren etwa an der Gynäkologie des Wiener AKH anders: Dort werden schon heute Stammzellen aus Nabelschnurblut zum Preis von 25.000 Schilling gewonnen und auf 20 Jahre zur Aufbewahrung nach Deutschland geschickt. Was deren Vorstand, Univ.-Prof. DDr. Johannes Huber, der auch Vorsitzender der Österreichischen Ethikkommission ist, damit begründet, dass man heute die medizinische Entwicklung auf diesem Gebiet sehr schwer vorhersagen könne, und dass, was "weg ist, unwiederbringlich weg" sei.

Ethisch vertretbar

Bleibt also unter dem Strich doch nur die Forschung an embryonalen, aus künstlichen Befruchtungen (IVF) übriggebliebenen oder fetalen Stammzellen aus Abtreibungen? - Höcker hält dies unter strikten Auflagen für "ethisch vertretbar". Sollte es möglich sein, aus ihnen etwa eine Leber, Knorpel oder Gewebe zu züchten, sei dies sicher gerechtfertigt - allerdings nur bei gesicherter Datenlage. Immerhin gebe es hier bereits ein grausames Beispiel des Misslingens: Eine Parkinsonkranke starb an der Transplantation neuronaler fetaler Stammzellen, nachdem sich dadurch eine Zyste aus Knochen- und Knorpelzellen gebildet hatte, die auf das Atemzentrum drückte. Nicht zuletzt aus solchen Gründen sei es "wesentlich vernünftiger, derartige Themen wissenschaftlich aufzuarbeiten".

Und vehement plädiert auch Höcker für die Förderung der öfentlichen Forschung, um privaten Wildwuchs, wie er nun etwa in den USA zu befürchten ist, zu verhindern. Dort, so hatte der Nobelpreisträger Paul Berg heftig kritisiert, bleiben nach der Bush-Entscheidung nun die vielversprechendsten Stammzellprojekte in privater Hand. Das wird wissenschaftliche Außenseiter auf den Plan rufen, enormen Schaden und Leid anrichten und potentielle Grundlage einer künftigen Zwei-Klassen-Medizin sein. Für Höcker gibt es dagegen nur eins: "Hier ist strengste Wissenschaftlichkeit gefordert."