"Wir leben in einer Zeit der Seuchen. Infektiöse Krankheiten richten enormes Leid und enormen Schaden bei Mensch und Tier an. Immer wieder entstehen neue Krankheiten und Human- und Veterinärmedizin hinken hinter ihrer Entwicklung her." So kommentierte der britische Experte Prof. Mark E. J. Woolhouse vom Zentrum für Tropen- und Veterinärmedizin der Universität Edinburgh jüngst eine Bilanz zum Thema Infektionskrankheiten. - Doch nicht genug damit, machten in der Folge gleich mehrere Expertenberichte darauf aufmerksam, dass sich eine Vielzahl der Erreger ohne nennenswerten Aufwand auch als "biologische Waffen" - etwa zum ruinösen Schaden sozioökonomischer Systeme - einsetzen lassen.
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Dr. Louise H. Taylor von der Universität Edinburgh hat 1.415 Krankheitserreger aufgelistet, die für den Menschen gefährlich werden können. 868 (61 Prozent) von ihnen stammen - wie etwa HIV, Lyme-Borreliose oder BSE - aus dem Tierreich und sind auf den Menschen "übergesprungen". In weiteren Fällen - wie etwa Ebola - ist die Entstehung noch völlig unbekannt. Infektionskrankheiten verursachen pro Jahr laut Fachleuten an die 14 Millionen Todesfälle.
Dagegen nähme sich der "Bakterien-Thriller" fast schon harmlos aus, den Experten der Johns Hopkins Universität in Baltimore (USA) jüngst im "New England Journal of Medicine" aufdeckten - wäre der Hintergrund nicht so alarmierend. Ein US-Army-Mikrobiologe hatte sich bei Arbeiten mit dem Killer-Keim "Pseudomonas mallei" (auch: Burkholderia mallei - B. mallei) infiziert und war schwerst erkrankt.
"Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die 'Rotzkrankheit' noch eine bei Pferden weit verbreitete tödliche Infektion. Es gab auch letale Infektionen beim Menschen. Wegen seiner Tödlichkeit und der hohen Infektosität wurde B. mallei als 'perfektes' Bakterium für die biologische Kriegsführung angesehen und von Deutschland im Ersten Weltkrieg dafür auch eingesetzt", so Dr. David L. Thomas (Johns Hopkins Hospital) in der Fachzeitschrift.
Durch penible und scharfe Überwachungsmaßnahmen wurde der "Rotz" in der westlichen Hemisphäre praktisch ausgerottet. Doch die einmal gerufenen "bösten Geister" schlafen nur. Thomas: "Trotzdem werden die B. mallei-Keime weltweit im Labor untersucht. Das erfolgt, weil man sich zunehmend vor den Möglichkeiten einer biologischen Kriegsführung fürchtet."
Genau dies führte dazu, dass ein 33-jähriger Mikrobiologe, der mit dem Keim in seinem Labor im Institut zur Erforschung von Infektionskrankheiten der US-Army in Fort Detrick in Kontakt gekommen war, im März 2000 lebensgefährlich erkrankte. Nach einer Reihe erfolgloser Therapien kam der Todkranke in die Intensivstation und nach einer Computertomographie, die zahlreiche Abszesse in Leber und Milz zeigte, ins weltbekannte Johns Hopkins Spital.
Erst Proben aus einem Leberabszess und detailliertere Untersuchungen gaben den entscheidenden Hinweis auf B. mallei-Keime. Dank einer hoch dosierten Antibiotika-Kombinationstherapie überlebte der Wissenschafter, doch bis zu seiner tatsächlichen Heilung sollte ein Jahr vergehen.
Arsenal im Labor
Thomas: "Dieser Fall könnte ein Vorbote für das Wiederauftauchen von fast vergessenen Krankheiten wie 'Rotz', Pocken oder Milzbrand sein. Diese Krankheiten werden im Labor studiert. Das vergrößert aber auch die Gefahr einer Infektion von dort Beschäftigten. Außerdem steht die Gefahr im Raum, dass damit 'erfolgreich' Bioterrorismus betrieben werden könnte. Wir brauchen mehr Mittel, um diesen erschreckenden Möglichkeiten begegnen zu können."
Doch "Rotz", Milzbrand, Pest, Botulinumtoxin und Nervengifte, wie sie in den einschlägigen Labors aufbewahrt werden, unterliegen wenigstens strengsten Kontrollen und Sicherheitsmaßnahmen. Wiener Wissenschafter haben indessen auf ein weit erschreckenderes Szenario hingewiesen, das in Zukunft entstehen könnte: "Sozioökonomische biologische Waffen" - etwa aus Erregern wie jenem der Maul- und Klauenseuche (MKS) -, die ausreichen, um die Wirtschaft der betroffenen Länder massiv zu schwächen.
Anfälliges System
"Die heutige Landwirtschaft ist durch Massenproduktion, den Transport von lebenden Tieren und Arbeitsteilung gekennzeichnet. Das ist eine Situation, die zahlreiche Probleme verursacht, wenn es um die Beherrschung eines Ausbruchs von Erregern wie jene der Maul- und Klauenseuche handelt", schrieben Dr. Johannes Rath, Chef des Zentrallabors des Instituts für Zoologie der Universität Wien, und sein Kollege Dr. Jochen L. Bürgel jüngst in der Fachzeitschrift "Science".
Gerade die Konsequenzen der Maul- und Klauenseuche in Europa sollten zum Nachdenken anregen. Die beiden Experten verweisen dabei sowohl auf den durch die Schlachtung von Hunderttausenden Tieren entstandenen enormen Schaden als auch auf die gleichermaßen verheerenden Auswirkungen etwa auf den Tourismus.
Rath und Bürgel über die potenziellen Folgen: "An sekundären Auswirkungen könnte die Inflationsrate durch höhere Lebensmittelpreise steigen. Das könnte es für die Europäische Zentralbank schwerer machen, die Zinsraten stark zu senken, noch dazu in einer Zeit einer langsamer wachsenden Wirtschaft. Höhere Zinsen aber würden die ganze Wirtschaft treffen und ihr Wachstum weiter reduzieren."
Gerade das Beispiel MKS sollte, so die Wiener Zoologen, die Aufmerksamkeit der Verantwortlichen darauf lenken, dass sich das Bild der "biologischen Waffen" verändert - und dass derartige Errger der bestehenden Liste potenzieller biologischen Waffen dringend hinzugefügt werden müssen: "Der Verlauf der Ereignisse rund MKS in Großbritannien und im Rest der EU sollte uns wachsam machen. Die industrialisierte Landwirtschaft ist höchst verwundbar, was die Anwendung von sozioökonomischen Waffen angeht." Deshalb sei es hoch an der Zeit, Gegenmaßnahmen zu ergreifen und eine Stärkung der internationalen Biowaffen-Konvention zu forcieren: "Solche Maßnahmen entscheiden über das Potenzial, der Entwicklung, Produktion, Lagerung oder dem Gebrauch solcher Waffen zu begegnen."
Die seit 1972 bestehende Biowaffen-Konvention wurde bisher von 143 Staaten ratifiziert. Wie man ihre Einhaltung besser überprüfen könnte, wird derzeit noch diskutiert.
Den Feind erkennen
Einen wichtigen Ansatz zur Bekämpfung eines der gefährlichsten Krankheitserreger schlechthin hat kürzlich ein Team um Claire Fraser und Herve Tettelin vom Institut für Genomforschung in Rockville (US-Staat Maryland) entdeckt, indem es das 2,16 Millionen Basenpaare umfassende Genom des Streptococcus pneumoniae entschlüsselte. Die Bakterienart dringt in Blut, Lunge und Hirn und tötet weltweit Millionen Menschen etwa durch Lungenentzündung oder Meningitis. Wie die Forscher herausfanden, hat das Bakterium eine Schwachstelle in seinem "Süßigkeitenbedarf" - es frisst sich mit Zucker vertilgenden Enzymen durch menschliches Gewebe - und bietet damit einen ersten Angriffspunkt zur Gegenattacke.