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Vor dem Verbrechen sind alle gleich

Von Michael Schmölzer

Politik

Seit fünf Jahren schweigen die Waffen in Bosnien-Herzegowina, zumindest oberflächlich betrachtet ist Ruhe und Frieden eingekehrt. Denn die Wurzeln des blutigen Konflikts bestehen weiterhin. Die Kooperation zwischen den drei Hauptethnien des politisch labilen Gesamtstaates, den Serben, Kroaten und bosnischen Muslimen, verläuft schleppend und widerwillig. Die einzig wirklich funktionierende multikulturelle Zusammenarbeit im ehemaligen Völkergemisch findet innerhalb des organisierten Verbrechens statt, wie ein Vertreter der internationalen Gemeinschaft eingesteht.


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Franjo Tudjman ist tot, Slobodan Milosevic nach verlorenen Wahlen spektakulär aus dem Amt gejagt, Alija Izetbegovic aus eigenen Stücken als Vorsitzender des bosnischen Staatspräsidiums zurückgetreten. Drei ultranationalistische Protagonisten der "Jugoslawischen Tragödie" sind mehr oder weniger aus dem Spiel, das lässt Raum für neue Hoffnungen, meinte der internationale Bosnien-Beauftragte Wolfgang Petritsch vor Journalisten im UNO-Hauptquartier von Sarajevo. Hoffnung auch für Bosnien, wo sich nach den Wahlen vom Wochenende erstmals die "Chance für einen wirklichen Wandel" auftun könnte.

Was sich Petritsch vor allem erhofft, ist der langsame Abschied von einer "ethnisch definierten Politik" in Bosnien. Denn die ist noch lange nicht überwunden. Krasses Beispiel ist die nach erbitterten Bruderkämpfen in einen kroatischen Westen und muslimischen Osten geteilte Stadt Mostar. Hier haben sich zwei völlig getrennte "Subkulturen" gebildet. Angefangen von je einem kroatischen und bosnischen Telefonsystem über getrennte Mülldeponien, und Funkfrequenzen verbindet die Einwohner des Westteils nichts mehr mit dem Osten.

Größter Hoffnungsträger der UNO für die Wahlen ist Zlatko Lagumdzija, Chef der "Sozialdemokratischen Partei" (SDP), dem in der von Kroaten und Moslems bewohnten Föderation gute Chancen zugestanden werden. Lagumdzija gibt sich betont multiethnisch in seiner Programmatik, obwohl "gewisse Zweifel vorhanden sind", wie Jaque Grinberg, oberster politischer Beobachter der UN in Bosnien, einräumt. Dennoch wird der Bosniake als "kooperativ" eingeschätzt.

Weniger erfreut ist man im Hauptquartier der internationalen Friedensmission über die Kandidatur der "Serbischen Demokratischen Partei" (SDS), die früher vom nunmehr meistgesuchten serbischen Kriegsverbrecher Radovan Karadzic geführt wurde und in der "Republika Srpska" äußerst populär ist. Die SDS gilt immer noch als die Partei der serbischen hard-liner, bei den Gemeindewahlen vom April war sie untersagt worden. Inzwischen hat sich die Partei intern demokratisiert und zeigt sich gegenüber der internationalen Friedensmission kooperationswillig. Für eine endgültige Bewertung der Absichten von SDS ist es laut Grinberg allerdings noch zu früh. Man sei man von einem erneuten Verbot der SDS abgekommen, da dies eine "Abtrennung von 40 Prozent der Serben vom politischen Geschehen" und eine mögliche Radikalisierung der Konkurrenzparteien zur Folge hätte.

Das größte Problem, das von einer neugewählten Regierung in Kooperation mit der UNO angegangen werden müsste, ist die alle Bereiche durchdringende organisierte Kriminalität. Die Aktivitäten reichen vom Schmuggel mit Waren aller Art, Drogen- und Mädchenhandel bis zur allgegenwärtig Korruption. "Die Kriminellen werden von der Bevölkerung als Helden, Garanten für ein nacktes Überleben betrachtet", meint Michael Stiers von der International Police Task Force." Der die Wirtschaft beherrschende Schwarzmarkt habe sich während des Bürgerkrieges etabliert und laufe nun einfach weiter. Allerdings: Ein Prinzip, das im Bereich der bosnischen Polizeikräfte noch Zukunftsmusik ist, konnte hier verwirklicht werden: "Die kriminellen Organisationen sind das Beste Beispiel für funktionierende Multiethnizität in diesem Land", so Stiers. Immerhin etwas.