US-Ökonom Rifkin über Europas Zukunftschancen. | Soziales Modell muss angepasst werden. | Brüssel. Noch ist unklar, wohin das informelle Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag in Hampton Court bei London führen soll. Wie Europa auf die Globalisierung reagieren müsste, ist die Leitfrage. Visionäre Antworten darauf lieferte gestern, Montag, der renommierte US-Ökonom Jeremy Rifkin.
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Die bevorstehende "dritte industrielle Revolution" durch die erneuerbare Energie aus Wasserstoff werde Europa mittelfristig Millionen von neuen Arbeitsplätzen bringen. Vor diesem Hintergrund plädierte Rifkin für ein neues Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell, das die Vorteile des amerikanischen und des europäischen Modells in sich vereint.
"Wir stehen vor dem Ende des Erdölzeitalters, und die globale Erwärmung findet in Echtzeit statt", umriss der Wirtschaftsforscher den Status Quo. Schon in 25 Jahren werde es weltweit mehr als eine Milliarde mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzellen geben. Die revolutionäre Entwicklung der Kommunikation durch Mobilfunk und Internet sei der Wegbereiter für das neue Zeitalter - so wie der Buchdruck das Zeitalter der Dampfmaschine verwaltbar gemacht hat und Fernschreiber sowie Telefon die Erdölära eingeleitet haben.
Millionen Arbeitsplätze
Die Umstellung Europas werde über 25 bis 30 Jahre Millionen von zusätzlichen Arbeitskräften benötigen. Grundsätzlich bedeute der technologische Fortschritt aber das Ende der Massenbeschäftigung. Denn "der billigste Arbeiter der Welt kostet mehr als die intelligente Technologie, die ihn ersetzt". 40 Prozent der weltweiten Industriearbeitsplätze seien in den letzten sieben Jahren bereits verloren gegangen. Das betreffe aber etwa China genau so, das in diesem Zeitraum 50 Prozent der Fabrikarbeiter abgebaut habe.
Hier sieht Rifkin auch die Chance für Europa. In Europa gebe es genügend Kapital und industrielle Infrastruktur, um führend bei der Einführung der Brennstoffzellen zu agieren.
So könne auch der europäische Traum von Solidarität und Humanität überleben. Nachhaltige Entwicklung und ein soziales Netz seien in Zukunft unverzichtbar. Der "Amerikanische Traum" von der bedingungslosen Selbstverantwortung habe zwar versagt. Die USA seien seit 1960 laut OECD bei der gleichmäßigen Einkommensverteilung von Platz eins auf Platz 24 abgerutscht. Allerdings müsse die Bevormundung in Europa abgeschafft und Eigeninitiative und Risikobereitschaft gefördert werden.