)
Rauswurf aus G8, Truppenübungen: Zwischen Russland und dem Westen herrscht nicht nur diplomatische Eiszeit.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Brüssel/Moskau. Michael McFaul war nicht gerade der Liebling des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Der ehemalige US-Botschafter in Moskau hatte im Vorfeld der letzten Präsidentenwahlen 2012 führende Köpfe der prowestlichen Opposition in der US-Botschaft empfangen, was im Kreml gar nicht gut ankam. Jetzt, kurz nach seinem Abgang aus Moskau, sieht McFaul den Beginn eines "neuen Zeitabschnitts". Putin habe mit seinem Vorgehen in der Krim-Krise deutlich gezeigt, dass ihm egal sei, was der Westen denke, sagte er. Bei einem weiteren Vordringen in die östliche Ukraine werde ihm aber ein "Guerilla-Krieg über Monate, wenn nicht über Jahre" drohen. Und Anders Fogh Rasmussen, der Generalsekretär des westlichen Verteidigungsbündnisses Nato, sagte: "Allen Nato-Mitgliedern können wir versichern, dass wir bereit sind für eine effektive Verteidigung." Die Pläne dafür lägen bereit.
Guerilla-Krieg, effektive Verteidigung: Die Atmosphäre zwischen Russland und dem Westen erinnert an die Zeit des Kalten Krieges. Bei den diplomatischen Treffen, die zurzeit stattfinden, ist die Stimmung gegenüber Moskau auf dem Gefrierpunkt. Bis auf weiteres finden die Treffen der führenden Industrieländer G8 ohne Russland statt. Nach mehr als 20 Jahren zumindest offizieller Entspannungspolitik fragen sich viele Akteure im Westen, ob eine Fortführung der Abrüstungspolitik mit Russland zielführend ist. "Die Krim-Krise hat vielen Ländern die mögliche Gefahr einer Bedrohung mit konventionellen Waffen aus dem Osten in Erinnerung gerufen", meint Walter Feichtinger von Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Landesverteidigungsakademie. "In den letzten Jahren hat man das System auf Friedenseinsätze im Ausland umgestellt. Mit dem russischen Vorgehen auf der Krim rückt jetzt die Kernaufgabe der Nato, die Territorialverteidigung, wieder in den Vordergrund. Nicht nur die östlichen Mitgliedsstaaten, auch neutrale Länder wie Schweden und Finnland sehen die Gefahr einer konventionellen Bedrohung durch Russland", sagte der Brigadier zur "Wiener Zeitung". Auch Markus Kaim, Experte für Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, sieht eine Renaissance der klassischen Verteidigungspolitik der Nato.
Aus heiterem Himmel fiel der jetzige Konflikt freilich nicht: Schon länger kreisen die Awacs-Aufklärungsflieger der Nato über dem Baltikum, während Russland zusammen mit seinem Verbündeten Weißrussland regelmäßig Truppenübungen an seiner Westgrenze abhält. Vor allem die baltischen Länder und Polen sahen seit jeher eine Annäherung zwischen Nato und Moskau sehr skeptisch, sie erwarten sich von dem Bündnis vor allem eines: Schutz vor Russland. Umgekehrt verstärkt der Aufbau westlicher Sicherheitssysteme, wie des Nato-Raketenschildes, russische Ängste vor einer Einkreisung durch das westliche Bündnis, die bis zur Sorge gehen, der Westen arbeite insgeheim an der Auflösung der Russischen Föderation.
OSZE-Mission als Hoffnung
Die Raketenabwehr in Osteuropa sei nicht - wie offiziell verlautbart - gegen den Iran, sondern gegen Moskau gerichtet, heißt es. Russlandfreundliche Analytiker im Westen verbreiten die These, der Schild sei gegen die Zweitschlagskapazität des Kremls gerichtet und würde jene Raketen abfangen, die Russland nach einem atomaren Erstschlag noch abschießen könne. Die USA könnten Russland dann jederzeit erpressen. Markus Kaim teilt die These nicht: "Der Schild kann nicht 100 Prozent der Raketen abfangen, höchstens 80", sagte der Experte zur "Wiener Zeitung". "Er dient nur der Schadensbegrenzung. Im Übrigen ändert sich gerade der Umgang des Westens mit dem Iran, die Bedeutung des Raketenschildes nimmt ab."
Hoffnung gibt für Feichtinger derzeit immerhin die Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der Ukraine, an der sich auch Österreicher beteiligen. "Dass Russland dem zugestimmt hat, ist ein Entspannungssignal", meint der Brigadier. Ein Einmarsch in der Ostukraine ist zumindest unwahrscheinlicher geworden.
In Luft auflösen werden sich die russischen Ängste aber nicht so schnell: Rasmussen kündigte Gespräche mit der Ukraine über eine erweiterte Zusammenarbeit an. Und US-Präsident Barack Obama lobte beim Atomgipfel in Brüssel ostentativ den kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew für sein Bemühen um nukleare Sicherheit. Kasachstan, ein Partnerland Russlands, ist wie die Ukraine ein Land mit vielen russischen Einwohnern.
Einigung bei Atomgipfel
Der diesjährige Gipfel zur Atomsicherheit in Den Haag stand zwar ganz im Schatten der Ukraine-Krise, brachte aber dennoch Ergebnisse. 35 Staaten - darunter Deutschland - vereinbarten, ihre Zusammenarbeit zur Sicherung atomaren Materials zu verstärken. Internationale Experten sollen demnach die Effektivität nationaler Vorkehrungen prüfen können. Laut einem Entwurf der Abschlusserklärung, der der Nachrichtenagentur AFP vorliegt, wollen die mehr als 50 teilnehmenden Staaten sich zudem dafür aussprechen, die Bestände hoch angereicherten Urans zu verringern. Das Material soll demnach in geringer angereichertes Uran umgewandelt werden. Die Staaten wollen außerdem schon genutztes Atommaterial besser sichern. So soll verhindert werden, dass atomares Material Terroristen für den Bau einer schmutzigen Bombe in die Hände fällt. Zudem sollen die Richtlinien der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO für den sicheren Umgang mit atomarem Material auf nationaler Ebene befolgt werden.