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Vor Nizza macht Paris Front gegen Deutschland

Von Hanns-Jochen Kaffsack

Europaarchiv

Paris - Noch steht die entscheidende diplomatische Schlacht von Nizza um die Reform der EU erst bevor. Einen Tag vor dem entscheidenden Feilschen um Europas Zukunft machte Frankreichs Präsident, der amtierende EU-Ratsvorsitzende Jacques Chirac, aber schon etwas unmissverständlich klar: Paris ist strikt dagegen, dass Deutschland mehr Stimmengewicht in der EU erhält als Frankreich.


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Während die Diplomaten in den Hauptstädten nicht müde wurden, die gute Zusammenarbeit beider Länder auch bei der Vorbereitung des EU-Gipfels von Nizza zu loben, sind Paris und Berlin nicht nur in der Frage des "deutschen Gewichts" in Europa über Kreuz.

Taktieren und Tauziehen gehören zum EU-Alltag bei wichtigen Weichenstellungen. Eine Neugewichtung im EU-Ministerrat sollte dem wiedervereinigten Deutschland mit seinen 82 Millionen Einwohnern mehr Stimmen geben als Frankreich mit seinen 60 Millionen. Der deutsch-französische Pakt in Europa beruhe auf Bedingungen der Gleichheit. Davon gebe es kein Zurück mehr, betonte Chirac erst kürzlich. Der französische Präsident erinnerte an die Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen, die der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer und Staatspräsident Charles de Gaulle eingeleitet hatten. "Nach all den Kriegen mit zahllosen Toten und all den Grausamkeiten schlossen beide Staatsmänner auf der Grundlage der Gleichberechtigung einen Pakt der definitiven Versöhnung", beschwört Chirac.

Doch das Berliner Anliegen ist womöglich ohnehin vom Tisch. Als Gegenleistung für einen deutschen Verzicht auf eine Neugewichtung könnte Paris Deutsch als dritte EU-Amtssprache (neben Englisch und Französisch) unterstützen, spekuliert die Pariser Zeitung "Le Monde". Denkbar ist auch, dass Frankreich seinen Widerstand gegen die Idee von Bundeskanzler Schröder nach einer weiteren EU-Regierungskonferenz 2004 aufgibt.

Frankreich, das bis Ende des Jahres den EU-Vorsitz führt, suchte in den Tagen vor Nizza intensiv nach Unterstützung für die vielen schwierigen Kompromissformeln, die das Tor zu einer ostwärts erweiterten Gemeinschaft öffnen müssen. Paris hat zudem schon begonnen, die Leistungen seiner Präsidentschaft gegen den Vorwurf zu verteidigen, mehr die nationalen Interessen zu pflegen und dabei die Rolle des "Vermittlers" zu vernachlässigen. Kleine EU-Staaten hatten Frankreich wiederholt vorgeworfen, vor allem die Interessen der Großen zu vertreten.

Die französische EU-Präsidentschaft rühmt sich vor allem, dem "sozialen Europa" vorwärts geholfen zu haben. Regierungschef Lionel Jospin verweist auf die Grundrechte-Charta, die in Nizza abgesegnet werden soll, sowie auf eine Reihe von verabschiedeten Direktiven zur Gleichbehandlung am Arbeitsplatz, zur Arbeitszeit und für Arbeiten unter erschwerten Bedingungen.

Doch angesichts der Monumentalaufgabe, in Nizza das institutionelle Dach für eine erweiterte Union umzubauen, bleibt das ein Nebenschauplatz.