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Vor uns stets der Untergang

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Gut möglich, dass sich noch keine ausdifferenzierte Großgesellschaft vor uns - sieht man von der apokalyptischen Hysterie ab, die zur ersten Jahrtausendwende das Abendland erfasste - mit solcher Obsession und Leidenschaft mit der Möglichkeit des eigenen Untergangs beschäftigt hat.

Der große Big Bang - schön, dass es für Anfang und Ende das gleiche Bild gibt - ist dabei natürlich nur alle heiligen Zeiten die Geschichte. Mindestens so sehr begeistern uns Nachrichten vom Untergang auch im kleineren Maßstab. Und keineswegs nur als Fiktion, der schleichende Tod und, noch lieber, der große Crash gehören längst zum Standardrepertoire selbst beim gehobenen Journalismus. Nur schlechte Nachrichten sind bekanntlich gute Nachrichten - und je schlechter, desto besser, aufmerksamkeitstechnisch gesprochen. Im Weltmaßstab hat die Sorge vor dem Klimawandel längst die spätmoderne Urangst vor dem atomaren Super-GAU abgelöst. Europa schrammt seit Ausbruch der Finanzkrise permanent am Untergang entlang, Griechenland verkommt zu einer Gesellschaft am Abgrund, die Jugend zu einer Generation ohne Zukunft und die Gier der Banker wird der Marktwirtschaft sowieso demnächst den Strick drehen. In Österreich ist im Gegenzug bevorzugt vom Totalversagen der Politik, vom Zusammenbruch jeglichen Vertrauens und sonstigen Bankrotterklärungen die gängige Rede.

Die christlichen Apokalyptiker - und mit ihnen der Großteil ihrer Gesellschaft - verbanden mit ihren Untergangsfantasien noch die Hoffnung auf ein besseres Leben nach dem Tod und eine gerechte Strafe für eine sündige Welt.

Wer heute noch diese Weltsicht teilt, fristet sein Dasein in obskuren Nischen an den äußersten Rändern der aufgeklärten Welt - und manchmal sogar unentdeckt in ihrer Mitte. Die große Mehrheit hält solche Vorstellungen bestenfalls für ausgemachten Blödsinn. Von der Faszination und Angstlust, die von den Untergangsfantasien im Großen wie im Kleinen ausgeht, können wir uns dennoch nicht befreien. Was in einem drinnen steckt, bahnt sich den Weg nach außen - und sei es nur als rhetorisches Stilmittel.

Ob die Realitäten mit unseren tiefenpsychologischen Zwangsneurosen mithalten können, wäre eine spannende Frage. Aber mühsam zu beantworten. Und am Tag vor der nächsten Apokalypse kein wirklich lohnendes Unterfangen.