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Vorbereitung für den GAU

Von Siobhán Geets

Politik

Brüssel legt einen Notfallplan für den Brexit ohne Abkommen vor.


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London. Großbritannien hat einen Plan für den künftigen Umgang mit Einwanderern aus der EU - und bedient damit das alte Versprechen, die Migration einzudämmen. Unionsbürger sollen ab 2021 auf dem britischen Arbeitsmarkt nicht mehr bevorzugt behandelt werden. Das bedeutet, dass sie über ein jährliches Mindesteinkommen von 30.000 Pfund (knapp 33.400 Euro) verfügen müssten, um ein Visum für fünf Jahre zu bekommen. Für Drittstaatsangehörige gilt die Regelung bereits. Mit der neuen Gesetzesvorlage schwinden die Hoffnungen der Verfechter eines "soft Brexit", die sich nach dem Modell "Norwegen Plus" eine engere Bindung an die EU wünschen.

Selbst Innenminister Sajid Javis, der für das Papier verantwortlich ist, sowie Schatzkanzler Philip Hammond und Wirtschaftsminister Greg Clark scheinen Bedenken zu haben. Wie der linksliberale "Guardian" berichtet, befürchten die drei Tories, dass die plötzliche Schranke für EU-Bürger in Schlüsselbranchen der Wirtschaft schadet. Denn Großbritannien ist gerade in Niedriglohnsektoren wie der Kranken- und Altenpflege auf Arbeiter aus dem Ausland angewiesen. Hinter vorgehaltener Hand bevorzugt die Mehrheit der Minister in Theresa Mays Kabinett eine niedrigere Einkommensschranke von etwa 21.000 Pfund. Doch die Premierministerin hat sich die Eindämmung der Migration auf die Fahnen geschrieben und dem Druck ihrer Minister standgehalten.

Immerhin war Einwanderung das Schlüsselthema des Brexit-Referendums von 2016. Das Schlagwort der "Vote Leave"-Kampagne, "Let’s take back control", hallt bis heute in den Köpfen der Briten nach - und findet sich auch in der Begründung von Innenminister Jarvis: "Wir erfüllen die klare Anordnung, die Kontrolle über unsere Grenzen wiederzuerlangen, und führen ein System ein, das den Interessen der britischen Bevölkerung dient." Mays Kabinett will die Migration ins Königreich auf weniger als 100.000 Menschen im Jahr reduzieren. Das garantiert die neue Regelung zwar nicht. Doch untermauert Javis damit seine frühere Behauptung: "Die Personenfreizügigkeit endet - mit oder ohne Abkommen."

Britische Firmen "entsetzt"

Die britische Wirtschaft, ohnehin schon in eine Art Schockstarre verfallen, stürzt der Vorstoß Londons weiter in die Verzweiflung. Am Mittwoch warnten Unternehmen der fünftgrößten Volkswirtschaft einmal mehr vor einem Brexit ohne Abkommen. Es sei "unglaubwürdig", dass ein No-Deal-Austritt zu bewältigen wäre, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der fünf größten Verbände des Landes. In 100 Tagen tritt das Vereinigte Königreich aus der EU aus. "Das ist einfach nicht genug Zeit, um den schwerwiegenden Verwerfungen und Störungen vorzubeugen."

Beim Brexit am 29. März wird Großbritannien über Nacht zum Drittstaat: Tausende Regelungen zwischen dem Königreich und der EU sind damit ungültig. Das betrifft den grenzüberschreitenden Verkehr, den Handel, die Bürgerrechte. "Unternehmen wären mit heftigen neuen Zöllen und Abgaben konfrontiert. Verzögerungen an Häfen könnten sorgfältig abgestimmte Lieferketten zerstören", so die Wirtschaftsvertreter, die den Stillstand im Londoner Parlament und die Grabenkämpfe der Abgeordneten "mit Entsetzen" beobachten.

Auch die Whiskey-Produzenten der Insel, mit jährlich 4,5 Milliarden Pfund der größte britische Exporteur, warnen vor einem No-Deal-Brexit.

Handel und Verkehr sichern

Auf genau dieses Worst-Case-Szenario bereitet man sich auch in Brüssel vor. Die EU-Kommission will verhindern, dass es bei einem chaotischen Ausstieg Großbritanniens zu einem völligen Zusammenbruch des Güter- und Flugverkehrs kommt. Der Notfallplan Brüssels sieht vor, dass zumindest ein Grundangebot an Flügen zwischen Großbritannien und dem Kontinent bestehen bleibt - vorausgesetzt, London räumt EU-Airlines die gleichen Rechte ein.

Ähnliches gilt für den Güterverkehr. Laut EU-Kommission sollen britische Spediteure vorübergehend weiterhin in die EU fahren können und umgekehrt. Auch die Finanzströme sollen bei einem harten Brexit vorerst weiter fließen. Die meisten Banken, Versicherungen und andere Finanzunternehmen der Insel könnten nach dem Ende der einjährigen Übergangsfrist aber nicht mehr in der EU operieren. Sie würden dann ihren größten Kunden verlieren. Unklar ist, wie die Bürgerrechte aussehen sollen. Die Mitgliedstaaten werden lediglich aufgerufen, Briten in der EU großzügig Aufenthaltsgenehmigungen auszustellen.

EU-Kommissions-Vizepräsident Valdis Dombrovskis sprach von "Schadensbegrenzung", damit es zu einer "sanften Landung" für die EU komme. "Die bessere Lösung wäre aber, den Brexit-Vertrag zu unterzeichnen." Genau daran scheitert jedoch die britische Premierministerin, denn im Londoner Unterhaus ist keine Mehrheit für ihr Abkommen in Sicht. Seit May die Abstimmung auf Jänner verschoben hat und ein harter, ungeordneter Brexit immer wahrscheinlicher wird, laufen die Vorbereitungen dafür in Brüssel auf Hochtouren. Verhandlungen mit London gibt es über den No-Deal-Brexit nicht - jede Seite trifft für sich alleine Vorkehrungen.