In Venezuela sind die Fronten zwischen Regierung und Opposition völlig verhärtet. Und immer wieder fällt der Strom aus. Was steckt dahinter?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Bogota. Es vergeht kaum eine Nacht in Caracas, in der am Horizont der venezolanischen Hauptstadt nicht der helle Lichterschein von explodierenden Transformatoren zu sehen ist. User stellen die Bilder davon in die sozialen Netzwerke und fragen sich, was passiert da gerade in der venezolanischen Hauptstadt. Auch Tage nach dem massiven Stromausfall gibt es immer wieder vereinzelte Blackouts. Die Schuld dafür schieben sich die sozialistische Regierung von Präsident Nicolas Maduro und dessen Gegenspieler Parlamentspräsident Juan Guaido gegenseitig in die Schuhe.
Das regierungskritische Portal "Tal Cual" berichtet, der Verband der in der Elektroindustrie tätigen Mitarbeiter Fetraelec fordert in einer Stellungnahme den sofortigen Rücktritt des zuständigen Ministers Luis Alfredo Motta Domínguez, der in Personalunion auch Chef des staatlichen Energieversorgers Corpoelec ist. Ihn machen die Mitarbeiter für das Chaos der letzten Tage verantwortlich.
Korruption odergezielte Attacke?
Bereits im Februar hatten Mitarbeiter des Wasserkraftwerkes, dessen Ausfall für den Blackout hauptverantwortlich ist, auf die katastrophalen Zustände in der Firma hingewiesen. Vandalismus, fehlende Investitionen und Wartung hätten dafür gesorgt, dass die Stromversorgung gefährdet sei. Nur wenig später kam es zu dem massiven Stromausfall, der das ganze Land tagelang lahmlegte und für anarchistische Zustände im Land sorgte. "Verantwortlich für das ganze Chaos ist die Korruption", sagte Interimspräsident Juan Guaido. Maduro will ohnehin sein Kabinett umbilden, ob dann noch Platz für den umstrittenen Motta Domínguez ist, unter dessen Leitung es seit Jahren zu massiven Stromausfällen kommt, ist fraglich.
Die Regierung sieht die Infrastruktur dagegen als Opfer einer gezielten Attacke aus dem Ausland und der Opposition. Maduro spricht von einem Drei-Phasen-Modell: Ein Hacker-Angriff, eine elektromagnetische Attacke und schließlich physische Angriffe auf die Transformatoren. Handfeste Beweise hat Maduro bis dato nicht vorlegen können. Ein Journalist und Internetexperte, der die Thesen Maduros öffentlich in Frage stellte, wurde zwischenzeitlich als möglicher Drahtzieher festgenommen, aber nach massiven Protesten von Menschenrechtsorganisationen wieder freigelassen.
Maduro sucht nun im Ausland Hilfe, um seine Behauptungen auch belegen zu können. Die mit Caracas befreundeten Regierungen in Russland, China und Iran sollen in einer Kommission die Hintergründe aufklären. Allein das dürfte das Ergebnis wenig glaubwürdig machen, denn aus Moskau, Peking und Teheran kommen bislang ausschließlich Äußerungen, die das Maduro-Regime stützen. Die drei Länder haben ein geopolitisches und wegen ihrer Investitionen auch ein finanzielles Interesse an einem Machterhalt Maduros.
Zuletzt gab es allerdings auch unerwartete Unterstützung für Maduro aus den USA. Recherchen der TV-Sender CNN als auch die "New York Times" stützten Behauptungen des Präsidenten über ein mutmaßliches Drohnenattentat im vergangenen Jahr sowie der in Flammen aufgegangenen humanitären Hilfslieferungen im Februar, die von Kolumbien nach Venezuela gebracht werden sollten. Auffällig ist allerdings die Zahl der in Caracas explodierenden Transformatoren. Das erinnert an die Taktik der linksgerichteten ELN und Farc-Guerilla im Nachbarland Kolumbien, die über Jahre gezielt Strommasten und Energieinfrastruktur attackierten, um damit die Stromversorgung lahmzulegen.
Dynamik des Protests gegen Maduro lässt nach
Auch gegen Ölpipelines gab es hunderte Anschläge. Leidtragende dieser Attacken war stets die Zivilbevölkerung und die Umwelt, das hat zur mangelnden Akzeptanz der linken Guerilla in Kolumbien beigetragen. In den sozialen Netzwerken radikalisieren sich zunehmend Teile der enttäuschten venezolanischen Opposition, weil die Dynamik des Protestes um den jungen Parlamentspräsidenten Guaido nachlässt. Der reist gerade durchs Land, um für seinen noch nicht datierten "Marsch auf Caracas" zu werben, mit dem die Venezolaner das sozialistische Regime von der Macht verdrängen sollen.
Mit Spannung wird der Bericht und die Einschätzung einer Delegation des UN-Menschenrechtskommissariats erwartet. Die reiste in den letzten Tagen unter zum Teil chaotischen Bedingungen ins Land. Menschenrechtsorganisationen kritisierten, den öffentlich schweigenden Delegationsmitgliedern sei der Zugang zu einigen politischen Gefangenen verweigert, die Medikamentenlager der von der Delegation besuchten Krankenhäuser seien kurzfristig aufgefüllt worden. Daraufhin versammelten sich vor den Hospitälern tausende Menschen, um gegen die Zustände in den Krankenhäusern zu demonstrieren.
Guaidos Opposition kündigte unterdessen an, einen zweiten Versuch zu starten, die in Kolumbien lagernden Hilfspakete nach Venezuela bringen zu wollen. Wie das diesmal gelingen soll, weiß allerdings niemand. Mehr als 1000 Angehörige der Sicherheitskräfte haben inzwischen Venezuela verlassen und sind nach Kolumbien geflohen.