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Verehrt und verdammt für Schriften, die bis heute so wirksam wie umstritten sind: Vor 200 Jahren wurde Karl Marx in Trier geboren.
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Wer und was war Karl Marx? Revolutionär, Querkopf, Vordenker, Aktivist, Prophet und Erlöser - das sind einige der Etiketten, mit denen er charakterisiert wurde und wird. Als Eleanor Marx am 16. März 1883 den Tod ihres Vaters beim Sterberegister in London meldete, ließ sie als Beruf des zwei Tage zuvor Verstorbenen den Begriff "Author" eintragen. Bei einem Zitate-Ranking setzte ihn die Wissenschaftszeitschrift "Nature" auf Platz 1 der meistzitierten Autoren aller Zeiten. Und die UNESCO erklärte mit dem "Kommunistischen Manifest" und dem ersten Band des "Kapital" zwei seiner Schriften zum Weltkulturerbe.
Karl Heinrich Marx hat sich in seinem langen Leben allerdings nicht nur als Verfasser dicker Kompendien und revolutionärer Kampfschriften profiliert, sondern auch als Journalist. Und zwar in ganz unterschiedlichen Berufsrollen: als Korrespondent, als (Chef-) Redakteur und als Herausgeber.
Längere Berufsfindung
Am 5. Mai 1818 als drittes von neun Kindern des Rechtsanwalts Heinrich Marx und seiner Frau Henriette in Trier geboren, wuchs er im gebildeten bürgerlichen Milieu auf. Die Eltern stammten aus alten Rabbinergeschlechtern, waren aber zum Protestantismus konvertiert. Durch das familiäre Umfeld und die Lehrer im humanistischen Friedrich-Wilhelm-Gymnasium erhielt der junge Marx viele Anregungen im Geiste der Aufklärung und eines liberal geprägten Rationalismus. Als 17-Jähriger schreibt er in einem Abituraufsatz zum Thema "Betrachtung eines Jünglings bei der Wahl eines Berufes":
"(. . .) gestatten unsere Lebensverhältnisse, einen beliebigen Stand zu wählen, so mögen wir den ergreifen, der uns die größte Würde gewährt, der auf Ideen gegründet ist, von deren Wahrheit wir durchaus überzeugt sind, der das größte Feld darbietet, um für die Menschheit zu wirken und uns selbst dem allgemeinen Ziele zu nähern, für welches jeder Stand nur ein Mittel ist, der Vollkommenheit." In diesen idealistisch-emphatischen Zeilen deuten sich schon die späteren Impulse zur Weltverbesserung an.
Die eigene Berufsfindung verläuft dann allerdings durchaus nicht geradlinig. Zunächst zwei Semester Studium an der Universität Bonn: Rechtswissenschaft, nach dem Vorbild und auf Anraten des Vaters. Dann - auch als Akt der Emanzipation - Umzug in die preußische Metropole Berlin. An der dortigen Universität, die noch ganz im Banne des Meisterdenkers Hegel stand, intensive Beschäftigung mit den Geisteswissenschaften, speziell der Philosophie. Besonders die Junghegelianer mit ihren staats- und religionskritischen Ansichten ziehen ihn in ihren Bann.

Studienabschluss 1841 mit einer Doktorarbeit, in der die dialektische Spannung zwischen Zufall und Notwendigkeit, zwischen Determinismus und Freiheit thematisiert wird. Die Promotion erfolgt, was damals keine Seltenheit war, in absentia, und zwar an der Universität Jena.
Wie bei manchen systemkritischen Köpfen der Restaurationszeit zerschlägt sich auch bei Marx die Hoffnung auf eine akademische Karriere. Da bietet ein neu gegründetes Presseorgan eine berufliche Einstiegschance: Die "Rheinische Zeitung für Politik, Handel und Gewerbe", die seit 1842 von einer Kommanditgesellschaft auf Aktienbasis herausgegeben wird, soll der konservativen "Kölnischen Zeitung" durch eine kritisch-liberale Berichterstattung Konkurrenz machen.
Marx beginnt seine Mitarbeit mit einer sechsteiligen Artikelserie zu den Debatten des Rheinischen Landtags über die Pressefreiheit. Den Abgeordneten, die den Status quo der Vorzensur gewissermaßen ontologisch begründen wollten, hält er entgegen:
"Die zensierte Presse mit ihrer Heuchelei, ihrer Charakterlosigkeit, ihrer Eunuchensprache, ihrem hündischen Schwanzwedeln verwirklicht nur die inneren Bedingungen ihres Wesens." Und weiter: "Das Wesen der freien Presse ist das charaktervolle, vernünftige, sittliche Wesen der Freiheit. Der Charakter der zensierten Presse ist das charakterlose Unwesen der Unfreiheit, sie ist ein zivilisiertes Ungeheuer, eine parfümierte Mißgeburt." Selten sind stilistisch so brillante und intellektuell so fundierte Passagen über Pressefreiheit und Zensur veröffentlicht worden wie in dieser Artikelserie.
Interne Profilierung
In weiteren Beiträgen befasste sich Marx mit sozialen Problemen und ökonomischen Fragen. Damit der Zensor nicht einschreiten konnte, geschah dies teilweise wieder mit Bezug auf die Landtagsverhandlungen, etwa über das Gesetz zum Holzdiebstahl und die Lage der Moselbauern.
Die Artikel erschienen, wie damals üblich, anonym. Aber intern konnte sich der Autor damit so profilieren, dass er im Oktober 1842 Chefredakteur wurde. Die Auflage der "Rheinischen Zeitung" stieg unter seiner Redaktionsleitung auf 3400 Abonnenten - für damalige Verhältnisse eine stolze Zahl. Das Blatt erlitt jedoch schon bald das "normale" Schicksal des kritischen Journalismus: Anfang 1843 wurde sein weiteres Erscheinen verboten.
Marx zog aus seinen Erfahrungen dieselbe Konsequenz wie viele oppositionelle Publizisten vor ihm: Er ging in die Emigration. Zusammen mit dem Linkshegelianer Arnold Ruge gab er im Februar 1844 in Paris die "Deutsch-Französischen Jahrbücher" heraus. Im ersten - und einzigen - Doppelheft erschien seine Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. "Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen, die materielle Gewalt muß gestürzt werden durch materielle Gewalt, allein auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift." Hier beginnt Marx seinen Weg als Theoretiker des wissenschaftlichen Sozialismus und als Aktivist des Kommunismus.
Journale als Festungen
Ein großer Teil der Auflage wurde an den Grenzen zum Deutschen Bund konfisziert, und damit war das neue Medium schon kurz nach dem Start gescheitert. Es brachte allerdings Marx in Kontakt mit dem Fabrikantensohn Friedrich Engels. Dies war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft und intellektuellen Partnerschaft.
Von den vielen gemeinsamen Werken hat das im Februar 1848 veröffentlichte "Manifest der Kommunistischen Partei" die größte Resonanz gefunden. Der in Brüssel im Auftrag des Bundes der Kommunisten entstandene Text, mittlerweile in mehr als 200 Sprachen übersetzt, beginnt mit dem Satz: "Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kommunismus." Und er endet mit dem Appell: "Proletarier aller Länder vereinigt Euch!" Aus einer radikalliberalen Kritik am Bestehenden war inzwischen ein revolutionäres Programm geworden.

"Es ist die Zeit des Ideenkampfes, und Journale sind unsere Festungen." Dieser Satz stammt von Heinrich Heine, mit dem sich Karl Marx in Paris angefreundet hatte. Er hätte auch von Marx selbst stammen können. Nach der bürgerlichen Revolution von 1848 - zuerst in Paris, dann in Berlin - gründete er in Köln erneut eine Tageszeitung. Von der "Neuen Rheinischen Zeitung" (Untertitel: "Organ der Demokratie") kamen insgesamt 301 Nummern heraus, ergänzt durch Beilagen und Extrablätter. Marx war im Impressum als "Redacteur en chef" angeführt. Und er war ein autoritärer Chefredakteur. Engels schrieb dazu im Rückblick: "Die Verfassung der Redaktion war die einfache Diktatur von Marx."
Die Linie der Zeitung war diesmal weit dogmatischer. Polemik gegen die überkommenen Machteliten, Abrechnung mit der Nationalversammlung in der Paulskirche, Aufruf zum Steuerstreik in Preußen, Plädoyers für eine soziale Republik - die Redaktion betrieb durchaus Kampagnenjournalismus. Prozesse wegen Majestätsbeleidigung, Verleumdung und Anstiftung zur Rebellion endeten zwar mit Freispruch; aber am 19. Mai 1849 musste das Blatt trotz einer Auflage von 6000 Exemplaren sein Erscheinen aus politischen und ökonomischen Gründen einstellen. Die letzte Ausgabe dieser "ersten sozialistischen Parteizeitung großen Stils in Deutschland" (so der Publizistikwissenschafter Kurt Koszyk) wurde in roter Farbe gedruckt und auch deshalb später als Rarität hoch gehandelt. Am Beginn stand ein Abschiedsgedicht von Ferdinand Freiligrath an das Blatt als "stolze Rebellenleiche".
Wiener "Lausegeld"
Für den Chefredakteur bleibt wieder nur die Emigration, die nun über Paris nach London führt. Dort wird er ausharren bis zu seinem Tod, 34 Jahre lang. Einen Großteil der Zeit verbringt er im Lesesaal des Britischen Museums. Dort unterwirft sich der Vordenker der proletarischen Revolution der Diktatur des Sitzfleisches. Im Laufe der Jahre füllt er eine dreistellige Zahl von Notizheften mit Exzerpten wissenschaftlicher Literatur. Diese bilden die Materialbasis für sein Hauptwerk "Das Kapital", dessen erster Band 1867 erscheint.
Die Londoner Zeit ist durch eine bedrückende finanzielle Situation für Marx und seine Familie gekennzeichnet. Dem Dauerkunden der örtlichen Leihhäuser muss sein Freund Engels immer wieder mit Geldgeschenken unter die Arme greifen. Allerdings helfen auch Erträge aus dem Journalismus beim Überleben: Von 1852 bis 1862 liefert Marx Beiträge für die "New-York Daily Tribune", damals das auflagenstärkste Blatt der Welt. Dabei handelt es sich primär um politische und wirtschaftliche Analysen. Themen sind u. a. Freihandel und Kolonialismus, Indus-trialisierung und die zeitgenössischen Kriege. Eine Zeitlang tragen auch die Honorare deutschsprachiger Zeitungen zum Broterwerb bei. Marx arbeitet als Korrespondent für die "Neue Oder-Zeitung" in Breslau und "Die Presse" in Wien.
Das österreichische Blatt druckt ab Herbst 1861 rund 50 Beiträge des Hungerleiders aus London. Darin geht es um die Situation der Arbeiter und der Presse in England, um Kriegsführung, Rüstung und ähnliche schwere Kost. Selten gelingt Marx ein lockeres Feuilleton, wie es die Redaktion gerne hätte. Die meisten Manuskripte landen im Papierkorb, weshalb der Autor in einem Brief an Engels klagt: "Das Lausegeld von Wien(. . .) wird verdammt wenig sein, da die Hunde nicht einmal wöchentlich einen Artikel drucken."
So muss Marx am Ende seines Lebens die Erfahrung machen, dass auch von journalistischer Lohnarbeit andere Profiteure den Mehrwert kassieren. Zwei Jahrzehnte zuvor hatte er festgestellt: "Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein."
Die Ausstellung "Karl Marx in Wien" ("Nachgezeichnet von P.M. Hoffmann") ist bis 20. Dezember im Waschsalon im Wiener Karl-Marx-Hof zu sehen.
www.dasrotewien-waschsalon.at
Walter Hömberg, geboren 1944, war Lehrstuhlinhaber für Journalistik an der Universität Eichstätt. Er lehrt als Gastprofessor für Pu-blizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien.