Bern - Selbst im Schweizer Außenministerium gibt man sich verblüfft. "Es verwundert, dass es auf der Weltkarte der UNO noch weiße Flecken gibt", ist auf der Homepage des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) zu lesen. Tatsächlich ist die Schweiz neben dem Vatikan und dem Sonderfall Taiwan als einziges Land der Erde noch nicht UNO-Mitglied. Geht es nach Regierung, Wirtschaft und den meisten Parteien soll sich dies ändern. Am 3. März wird nach 16 Jahren wieder über eine UNO-Mitgliedschaft abgestimmt.
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"Die Zeit ist reif für den Beitritt der Schweiz zur UNO", trommelt das EDA und die Chancen, dass die Stimmbürger mehrheitlich dem Aufruf folgen, stehen laut Umfragen nicht schlecht. Nach jüngsten Erhebungen der "Schweizerischen Gesellschaft für praktische Sozialforschung" (GfS) liegen die Befürworter mit rund 54 Prozent deutlich vor den Gegnern (circa 37 Prozent). Doch das Rennen ist damit noch nicht gelaufen. Pro oder Contra liegt nicht nur in den Händen der rund neun Prozent Unentschlossenen, vielmehr entscheidet das "Ständemehr". Laut Verfassung ist bei Abstimmungen über Volksinitiativen nämlich auch die Zustimmung der Mehrheit der 26 Kantone und Halbkantone erforderlich ist.
Mit dieser Regelung soll eine Vormachtstellung der einwohnerstarken Kantone verhindert werden, doch birgt das System seine Tücken: "Bei einer Zustimmung von 50 bis 53 Prozent besteht die Möglichkeit, dass es zu einer Kollision zwischen dem Stände- und dem Volksmehr kommt". Die aktuellsten Trends deuten aber darauf hin, dass das Ständemehr erreicht werden dürfte. Am größten ist die Zustimmung in der französischsprachigen Schweiz, wo um die 60 Prozent für einen Beitritt sind. Nur ein Drittel ist dagegen. Besonders kritisch wird die UNO im Tessin beäugt, wo derzeit nur rund 43 Prozent den Vereinten Nationen dezidiert positiv gegenüber stehen.
Die Entscheidung dürfte in der Deutschschweiz fallen, wo sich bisher rund 51 Prozent für ein "Ja" entscheiden haben. Während die Zustimmung in urban dominierten Kantonen wie Zürich oder Basel (Stadt) außer Frage steht, gilt die UNO in kleinen Gebirgskantonen wie Appenzell als Rotes Tuch. Zum Zünglein an der Waage dürften damit mittelgroße deutschsprachige Kantone wie Luzern, Aargau, St. Gallen, Solothurn und Zug werden.
In den meisten dieser Kantone ist aber die Schweizerische Volkspartei (SVP) federführend. Als einzige Regierungskraft fährt die SVP - ausgeschert sind lediglich die Kantonalsektionen Bern und Graubünden - einen Anti-UNO-Kurs. Besonders ins Zeug legt sich dabei Christoph Blocher, der Wortführer des rechtspopulistischen Mehrheitsflügels. Er malt das Szenario einer "Schweiz als Empfehlsempfängerin der Großmächte" an die Wand und schürt in gewohnter Manier die Emotionen.
"Mit dem bisherigen Beobachterstatus kann die Schweiz ihre Interessen nicht voll wahren", wird hingegen Außenminister Joseph Deiss vom Zürcher "Tagesanzeiger" zitiert, "unsere Pflichten gegenüber der UNO nehmen wir schon längst wahr, sichern wir uns jetzt unsere Rechte." Die Ziele der UNO ("Frieden, Menschenrechte, Entwicklung, Umweltschutz oder Nothilfe") sind für Deiss identisch mit jenen der Schweizer Außenpolitik. Eine Ansicht, die laut "Tagesanzeiger" auch Bundespräsident Kaspar Villiger von den Freisinnigen (FDP) vertritt: "Wenn man die Ziele teilt, gibt es keine Alternative zur UNO."
Pikanterweise hatte Villiger - wie auch Verteidigungsminister Samuel Schmid, der trotz seiner SVP-Zugehörigkeit eindeutige UNO-Ambitionen zeigt - im Jahr 1986 einen Beitritt noch abgelehnt. Damals wurde ein derartiges Ansinnen von 75 Prozent der Stimmberechtigten in den Orkus geschickt. Während sich Schmid im Nachhinein auf den Faktor Jugend beruft ("Ich war damals noch ein politischer Nobody") kann Villigers Begründung für seinen Meinungsumschwung als Standardargument herhalten: "Nach dem Ende des Kalten Krieges gibt es keinen konkreten Grund mehr gegen eine Mitgliedschaft. Die Leistungsbilanz der UNO hat sich seither stark verbessert."