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Vororte gegen Stadtkern

Von Konstanze Walther

Politik

In Venezuela nehmen die Proteste gegen die Regierung kein Ende.


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Caracas. Das Drehbuch ist immer das gleiche, schreibt Alfredo Meza, Korrespondent der spanischen Zeitung "El País" in Venezuela: Die venezolanische Opposition beruft in den Außenbezirken von Caracas eine Demonstration ein, die Richtung Zentrum marschiert. Doch der Stadtkern ist fest in der Hand der Anhänger der Regierungspartei und wird von der Polizei bewacht und abgeschirmt. Sobald der Demonstrationszug auf die Polizisten trifft, "fängt das Chaos an", schreibt Meza. Auf die oppositionellen Demonstranten werde direkt mit Schrotkugeln und Tränengas geschossen, die wiederum mit Steingeschossen und selbst errichteten Barrikaden antworten.

Im Zuge der jüngsten gewaltsamen Proteste in dem südamerikanischen Land sind innerhalb eines Monats rund 30 Menschen gestorben. Laut den Informationen von "El País" hätte eine der Tränengasgranaten den demonstrierenden 20-jährigen Studenten Juan Pablo Pernalete getötet, die ihn direkt auf der Brust getroffen habe. Seine Universität, die Universidad Metropolitana, verurteilte die "brutale und exzessive Unterdrückung durch den Sicherheitsapparat des Staates". Der venezolanische Innenminister Néstor Reverol versprach, die Verantwortlichen festzunehmen.

Aber nicht nur in der Hauptstadt kommt es zu blutigen Auseinandersetzungen. Im südwestlichen Bundesstaat Táchira starb etwa der Efraín Sierra angeblich am Weg zur Arbeit durch einen Bauchschuss. Sierra war aktiv in der Regierungspartei PSUV. Wer ihn erschossen hatte, war nicht klar, der Gouverneur des Bundesstaates sprach von "Terroristen", die sein Motorrad stehlen wollten, und stellte eine Verbindung mit den Demonstrationen der Opposition her. Einen objektiven Überblick über das Geschehen zu behalten, gestaltet sich angesichts der zunehmenden Repressionen gegenüber Journalisten schwierig. Eine Journalistin beklagte gegenüber ausländischen Medien, früher hätte man über beide Seiten berichten können, doch nun mache sich eine "Entweder für uns oder gegen uns"-Mentalität breit.

Ende März ist eine Radiojournalistin in Venezuela etwa während einer Berichterstattung von bewaffneten Polizisten angegriffen, zu Boden geworfen und weggeschleppt worden.

Das zutiefst gespaltene Venezuela wird seit Ende März einmal mehr von heftigen Protesten erschüttert. Die Regierungsgegner kämpfen für eine Volksabstimmung über eine Amtsenthebung des Präsidenten Nicolás Maduro. Der Präsident hingegen regiert mit Notstandsdekreten weitgehend am Parlament vorbei und hat wiederholt vorgezogene Neuwahlen ausgeschlossen.

Abkapselung aus Region

Jüngster Auslöser für die Proteste der Opposition war die komplette Entmachtung des Parlaments durch den Obersten Gerichtshof - die nach globalen Protesten wieder rückgängig gemacht wurde. Im Parlament hat die Opposition die Mehrheit. Die Opposition sah darin einen Staatsstreich durch Präsident Maduro. Die Regierungspartei wiederum verwies darauf, dass die oppositionelle Mehrheit im Parlament gegen geltendes Recht verstoße, weil sie drei Abgeordnete, deren Mandat wegen mutmaßlichen Wahlbetrugs ausgesetzt worden war, vereidigt hatte.

Der Ständige Rat der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) mit Sitz in Washington, verurteilte damals die Entscheidungen des Obersten Gerichts. OAS-Generalsekretär Luis Almagro sprach von einem "Putsch", mit dem die Staatsführung die verfassungsmäßige Ordnung und die Demokratie aushebele. Dafür bekam der OAS am Mittwoch die Rechnung präsentiert: Venezuelas Außenministerin Delcy Rodriguez kündigte in einer Fernsehansprache den Austritt des Landes aus dem Staatenbund an. Der linkspopulistische Präsident Maduro habe angeordnet, am Donnerstag ein Beschwerdeschreiben an die OAS zu übergeben, das den 24 Monate dauernden Austrittsprozess einleiten werde, sagte Rodriguez im staatlichen Fernsehen. Die in Washington ansässige OAS nannte die Ministerin eine von den USA angeführte "interventionistische Koalition".

Der OAS ist beileibe nicht die einzige regionale Organisation, der Venezuela in der jüngeren Vergangenheit den Rücken zugewandt hat. Das Wirtschaftsbündnis Mercosur hat nach vorangehenden Wortgefechten Venezuela im Dezember wegen Nichteinhaltung demokratischer Grundprinzipien ausgeschlossen. Venezuelas Außenministerin Rodríguez nannte den Rauswurf damals einen "Staatsstreich". Unterstützer der venezolanischen Regierung sahen in der Mercosur-Entscheidung sowie in den Drohgebärden seitens des OAS die klare Handschrift der USA. Es seien die konservativen Regierungen Lateinamerikas, die Washington den Weg nach Südamerika bereiten, befinden Anhänger der Regierungspartei PSUV.

Weltweit wird in Propagandamaßnahmen um die Deutungshoheit der Eskalation in Venezuela gerungen. Kritiker der Regierung in Venezuela, wie etwa der Leiter des deutschen Giga-Instituts für Lateinamerika, Detlef Nolte, streichen hervor, dass das Land in einer tiefen Wirtschaftskrise ist, und 80 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben. Befürworter von Maduro kontern mit dem aktuellen Entwicklungsbericht der Vereinten Nationen, in dem Venezuela bei der Länderreihung nach Human Development Index den Platz 71 einnimmt - nach Kuba aber vor allen anderen größeren lateinamerikanischen Ländern. Der Widerstand auf den Straßen ist für Befürworter von Maduro eine überschaubare Ansammlung von Menschen mit rechtsgerichteten Gedankengut. Andere, wie etwa Nolte, heben hervor, dass die Opposition inzwischen die Mehrheit stellt, und sich aus politischen Gesinnungen jeder Couleur speist.