Der BSE-Skandal ist nicht nur als Seuche oder als Krise der Landwirtschaft zu sehen. Als erstes ist die Angst vor dem "Rinderwahnsinn" in Verbindung mit den Ängsten vor dem Integrationsprozess zu lesen. Als zweites ist auf die Asylpolitik zu verweisen: Der Bedrohung von außen wird das Phantasma der sicheren und sauberen Heimat entgegengesetzt. Letztlich geht es um die Frage der Mobilität, nicht nur von Tieren oder Mikroorganismen, sondern vor allem um jene der Menschen selbst. Offensichtlich wird dies in der Fleischwerbung, die nicht nur risikofreies Fleisch verspricht, sondern ganz andere Inhalte zum Gegenstand hat.
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Herkunft, Kontrolle, Hygiene
Ende der 80-er Jahre fiel die BSE-Krise, die damals fast ausschließlich Großbritannien betraf, mit dem bevorstehenden EU-Beitritt Österreichs zusammen. Die Fleischwerbung griff damals systematisch Ressentiments und Ängste vieler Menschen vor dem Integrationsprozess auf. Man setzte mit Erfolg, auch wenn man, wie BILLA, längst transnationalen Konzernen angehörte, auf nationale Konstrukte: "Genaueste Herkunftskontrolle bei jedem Stück Fleisch. BILLA bezieht alle Fleischsorten nur von österreichischen Bauernhöfen. Schon dort erhält jedes Tier eine Kontrollnummer, die es jederzeit ermöglicht, die Fleischherkunft genau zu überprüfen. An BILLA werden ausschließlich ganze Schweinehälften und Rinderviertel geliefert, d.h. ohne Umweg über anonyme Zerlegebetriebe. Erst in der Filiale wird das Fleisch vom BILLA-Fleischhauer im Zerlegeraum fachgerecht zerlegt und verpackt. Die BILLA-Bauernhofgarantie gilt übrigens für alle Fleischsorten."
Auf einer Abbildung sehen wir einen jungen Bauern in einer Mastbox für Schweine. Obwohl bei genauerem Hinsehen ein Spaltenboden zu erkennen ist, wird jeder Hinweis vermieden, der an Massentierhaltung denken ließe. Es sind nur vier Schweine zu sehen. Sie sind sauber, haben genügend Raum, auf dem Boden liegt Einstreu. In anderen Werbeeinschaltungen wird diese Geschichte in der Fleischerei fortgesetzt. Merkur verspricht seinen Kunden höchste Kontrollansprüche: "1) Vor Arbeitsbeginn müssen alle Merkur Fleischer strenge Hygienerichtlinien einhalten. D.h.: die Privatkleidung darf nie mit der weißen Arbeitskleidung in Berührung kommen; die Hände müssen vor der Arbeit gereinigt und desinfiziert werden. 2) Die vom Bauern auf jede Schweinehälfte gestempelte Betriebsnummer und die von einem unabhängigen Klassifizierer angebrachten Rindfleischkennzeichnungsetiketten werden kontrolliert. 3) Ist die Kühlung lückenlos und optimal erfolgt? Darum wird gleich nach der Anlieferung die Innentemperatur bei Fleisch (max. 7°C), Hendln (max 2°C) und Wurstwaren gemessen. 4) Alle an Merkur liefernden Bauern sind datenmäßig erfasst: So wird sofort bei der Übernahme kontrolliert, ob Betriebsnummer und Namensangabe des Bauern übereinstimmen. Wenn nicht, geht das Stück gleich retour."
Die Sinnhaftigkeit von Fleischkontrollen oder hygienischen Standards soll keineswegs in Abrede gestellt werden. Die versprochenen Hygienekontrollen sind im Betriebsalltag allerdings so nicht denkbar.
Heimisches Fleisch
"Österreich", "Heimat", "Natur" oder "Berge": Wir haben es mit höchstbesetzten Bildern zu tun, deren häufiger Gebrauch genaugenommen das Gegenteil ihrer Behauptung bestätigt. Angesichts heimischer Fleischskandale sind solche Bezugnahmen erklärungsbedürftig. Nur deshalb, weil etwa "Ländle Beef" Feinstes aus der Natur verspricht, ist noch keine artgerechte oder naturnahe Tierhaltung garantiert. Die Bezeichnung "Berglamm" bedeutet keineswegs, dass die Lämmer auf Almen weiden. Möglicherweise sind die Weiden überbelegt, leiden viele der Tiere an der Moderhinke, einer infektiösen Klauenerkrankung, möglicherweise wird im Kombi mit der Aufschrift "Berglamm" nicht nur zartes Fleisch zum Verbraucher transportiert, sondern dient er auch dazu, halbverweste Kadaver zur Tierkörperverwertung zu bringen.
Bei der Betonung von Herkunft, Kontrolle und Hygiene geht es zwar um Fleisch, beachtet man sie jedoch in ihrem gesellschaftlich-historischen Kontext, dann spiegeln sich darin andere Inhalte. Als erstes ist die Angst vor dem "Rinderwahnsinn" in Verbindung mit den Ängsten vor dem Integrationsprozess zu lesen. Als zweites ist auf die Asylpolitik zu verweisen: der Bedrohung von außen wurde das Phantasma der sicheren und sauberen Heimat entgegengesetzt. Schließlich beziehen sie sich auf Ängste, die Ausdruck jener Mobilität sind, die heute abverlangt wird, weniger eine Mobilität zwischen Orten, sondern unterschiedlichsten Identitäten, Berufen, Beziehungskontexten.
Heile Welt der Bauern
Wie ließe sich die eigene Welt als heile Welt besser behaupten als mit Hilfe des Bauern oder der kleinbäuerlichen Kultur, die in besonderer Weise bestehende Traditionen bezeichnet? Wird das bäuerliche Ensemble aus der Nähe gezeigt, begegnen wir einem Bauern, der mit Strohballen beschäftigt ist. Der Misthaufen darf nicht fehlen. An einem morschen Zaun lehnt ein Fahrrad. Das landwirtschaftliche Gebäude bildet ein organisches Ganzes. Neue Gebäudeteile fügen sich in alte, die bereits am Zerfallen sind. Hühner, Schweine, Rinder und Pferde beleben diesen kleinen Kosmos. Auf solche Bilder treffen alle wesentlichen Merkmale des Kitsch zu. Nicht nur die Widersprüchlichkeit der Welt wird geleugnet, etwa, dass die moderne Lebensmittelindustrie, die sich solcher Bilder bedient, maßgeblich zum Untergang der kleinbäuerlichen Kultur beigetragen hat, oder die Bauern ihr Leben keineswegs so idyllisch finden. Die Welt wird auf Überschaubarkeit reduziert und all ihrer historischen Dimension entledigt. Bauernhöfe scheinen die letzten Enklaven in einer Welt zu sein, die nicht oder nur beschränkt den Zwängen des Geldverkehrs unterliegen.
In einer anderen Werbeeinschaltung sind auf der Wiese drei weidende Kühe zu sehen. Obstbäume fehlen nicht, und auch die blühenden Geranien fügen sich ins Bild. Es muss wohl nicht eigens erwähnt werden, dass der abgebildete Bauer keine Maschinen bedient. Er schiebt einen Schubkarren mit frischem Gras. Das Futter für die Tiere soll laut Werbeeinschaltung vorwiegend aus hofeigener Produktion stammen: "Chemische und antibiotische Leistungsförderer in der Mast sind verboten." Ein Gütesiegel trägt die Aufschrift: "Frischfleisch: Herkunft. Kontrolle. Qualität. Geprüfte Qualität." Um das Zentrum der Abbildung wird in einer Kreisbwegung die Geschichte des Fleisches von der "Geburt" des Tieres bis zum Verzehr des Fleisches erzählt. Der Bogen spannt sich von der Kennzeichnung des Tieres über den "Gütesiegel-Bauern", die "ph-Wertmessung" und den "Fleischberater" bis zum Familientisch, an dem eine Frau im Dirndl damit beschäftigt ist, den Braten für den Gatten und ihre drei Kinder zu zerlegen.
Vorindustrielle Idylle
Es wird ein Kreislauf suggeriert, der an die kleinbäuerliche Landwirtschaft denken lässt, den es aber so nicht mehr geben kann. Die in diesem Kreismodell angedeutete Geschichte wird von zwei Spalten gerahmt, in denen jeweils auf drei Angebote hingewiesen wird. Die klassischen Teile des Schweines: Schnitzel, Karree, Schulter, Stelze, Gulaschfleisch, Geschnetzeltes. Auch die runden Teller, auf denen die Stücke jeweils abgebildet sind, betonen die Abgrenzung des Einzelnen von der Masse. Die moderne Landwirtschaft beschäftigt sich mit Mengen und Massen, die Werbung betont genau das Gegenteil. Sie begnügt sich mit Wenigem.
Zwei Monate später begegnen wir dem eingangs erwähnten Bild mit dem Bauern wieder. Nun ist die Abbildung seitenverkehrt abgedruckt. Darunter der Text: "Unser Beitrag zur Existenzsicherung der österreichischen Bauern! Im Sinne von Vorrang für Österreich unterstützt BILLA jetzt die heimischen Landwirte. Und zahlt bis 31. Oktober 1998 freiwillig 10% mehr pro Kilo Schweinefleisch! Viele österreichische Bauern sind in ihrer Existenz gefährdet; mit ein Grund: der derzeitig niedrige Notierungspreis für Schweinefleisch."
Österreich zuerst
In Anlehnung an den Wahlslogan der FPÖ "Österreich zuerst!" warb Billa mit dem Satz: "Vorrang für Österreich!" Der BSE-Skandal eignete sich nicht allein deshalb als Deckgeschichte, weil sich das gefährliche Fleisch dem Ausland zuordnen ließ, sondern weil er tiefsitzende Ängste der Infektion und Infiltration weckte. Die dadurch verursachte Erkrankung bedroht vor allem die Identität des Menschen.
Konzerne wie Spar, Billa, Merkur treten an die Stelle staatlicher Institutionen und garantieren Sicherheit, obwohl ihre eigentliche Funktion nur darin besteht, möglichst hohe Gewinne zu machen. So als wäre das Bild bereits brüchig, wird darauf hingewiesen, dass "viele österreichische Bauern in ihrer Existenz gefährdet" seien. Verschwiegen wird dabei, dass der "niedrige Notierungspreis" im Interesse der Konzerne wie der durch die Werbung angesprochenen Konsumenten liegen. So wird das "Bauernsterben" von allen Interessen gelöst und wie das Waldsterben zu einer Art Naturereignis.
Heimat & Abgrenzung
Der kleinbäuerliche Hof wird in solchen Werbeeinschaltungen fast ausschließlich als isoliertes Ensemble gezeigt. Heimat lebt von Abgrenzung, davon, anders zu sein als die Umgebung. Die zunehmende Durchlässigkeit der Grenzen wird dann als bedrohlich erlebt. Dabei geht es weniger um die Angst vor Menschen, die in das eigene Land "hereindrängen", sondern mehr um Mobilität, letztlich die Aufgabe verorteter Bindungen, welche eine globalisierte Wirtschaft dem einzelnen abverlangt.
Neben dem Bauernhof wird mit Österreich ein zweites Bild für Überschaubarkeit eingeführt: "BILLA fördert den Nationalpark Hohe Tauern! Etwa 3000 Bio-Kleinbauern aus der Region beliefern BILLA mit ihren JA! Natürlich Milch- und Fleischprodukten. Durch diese Zusammenarbeit kann die kleinstrukturierte Landwirtschaft im alpinen Raum gesichert werden. Jetzt unterstützt BILLA mit JA! Natürlich die Erhaltung des Nationalparks Hohe Tauern - mit einem großzügigen Beitrag. Aus Verantwortung für ein großes österreichisches Natur- und Kulturerbe." Daneben steht eine Abbildung, die einen zerfallenen Heustadel zeigt. Im Hintergrund schneebedeckte Gipfel eines Gebirgsstocks. Zehn Jahre vor dem EU-Beitritt hätten solche Hinweise noch keinen Sinn ergeben. Die Produkte werden auch auf der sprachlichen Ebene mit "Österreich" angereichert, vom "Gustostückerl" bis hin zu den "Kletzerln". Der Kunde kann sich also durch die "richtige" Kaufentscheidung am Projekt Heimat beteiligen.
"Zur selben Zeit, da der soziale Schutz in Verruf geraten ist, die Überlebensfähigkeit der Menschen und der Staaten zu untergraben, werden immer mehr Gebiete unter staatlichen Naturschutz gestellt. Während auf dem einen Gebiet gelten soll, dass die ,natürlichen' Gesetze des Marktes die Fähigkeit der Menschen stärke sich selbst zu helfen, soll für die Naturlandschaften wahr sein, dass ihnen nur die Erhebung zum Nationaldenkmal das Überleben sichere." (Wieland Elfferding). Da der Nationalpark bedroht ist und des ständigen des Schutzes wie der Kontrolle bedarf, wird er zu einem Deckbild der eigenen Nation. Natur wird in sehr großen Zeiträumen gedacht und eignet sich deshalb als Gegenbild für die sich rasch ändernde Welt.
Von "Safer Sechs" zu "Österrein"
Mit der jüngsten BSE-Krise wurden solche Bilder wiederum erweitert. Eine Werbeeinschaltung von McDonald's zeigt sechs Abbildungen mit typischen Produkten der Fast Food-Kette. In großen Lettern ist zu lesen: "Safer Sechs!" Unter dem "Big Mac" etwa: "Seit dem Österreich-Start 1977 bestehen McDonald's-Rindfleischlaibchen zu 100% aus österreichischem Fleisch. Es wird ausschließlich reines, mit dem AMA-Gütesiegel ausgezeichnetes Muskelfleisch ohne jeden weiteren Zusatz verwendet." Hier wird auf eine andere Seuche Bezug genommen, nämlich auf Aids. Was hat jedoch BSE mit Aids zu tun, was der Verzehr von Rindfleisch mit Sex? Im Gegensatz zu anderen Seuchen verbindet eine HIV-Erkrankung mit der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, dass nicht dass Kollektiv bedroht ist, sondern der einzelne, und zwar derjenige, der die Regeln der Hygiene nicht befolgt. Beide Erkrankungen verbindet auch, dass sich die ersten Krankheitszeichen erst lange nach der Infektion zeigen.
Mit "Österreich" wird ein nationales Konstrukt eingeführt, welches die Menschen gleichsam wieder zusammenfügt. Auf "Safer Sechs!" folgt "Österrein", Kartoffeln, "die reinsten Österreicher", die ausschließlich "aus heimischem Anbau" stammen sollen: "Die Rückverfolgbarkeit bis zum heimatlichen Acker ist lückenlos gewährleistet." Da drängt sich die Frage nach dem "echten" Österreicher auf. Was den echten Wiener anlangt, wissen wir, dass es ihn nicht gibt. Wien ist eine Stadt, die aus einem Konglomerat unterschiedlichster Identitäten gebildet wird. Aber in der Werbung gibt es sie noch, die "echten Wiener". Die Brötchen, bei McDonald's "Buns" genannt, sollen aus einer Liesinger Bäckerei stammen. Woher stammt das Mehl, woher die Backhilfen?
Fleisch und Politik
Politische Parteien erteilen heute ihren potentiellen Wählern Ratschläge, welches Fleisch und welche Fleischprodukte ohne Risiko verzehrt werden können. Die "taz" titelte kürzlich: "Es gibt keine Parteien mehr, nur noch Verbraucher." Statt Interessensvertretung rücken Kundenorientierung und Dienstleistungen in den Vordergrund.
Dass sich die Werbung von politischen Parteien mit der von Lebensmittelkonzernen überlagern kann, spiegelt eine tiefgreifende Krise der politischen Kultur. Wie Heimat sind alle traditionellen Formen von Politik nur in einer verorteten Kultur denkbar. Löst sich die Bindung an den Ort und Territorien auf, bricht Politik, wie wir sie kennen, zusammen. Es wird andere Formen von Politik geben, aber wir sind nicht in der Lage, uns diese auch nur ansatzweise vorzustellen. Künftige Generationen werden damit leben können. Viele in unserer Gesellschaft tun sich aber schwer und erleben diesen Umbruch als Bedrohung, wurden sie in ihrer Kindheit doch auf eine ganz andere Welt vorbereitet.