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"Vorschuljahr kann schaden"

Von Ruth Pauli

Politik

"Nichts für ganz Österreich regeln." | Gesamtschule und kleinere Klassen lösen nicht alle Probleme. | Wien. Am 20. Dezember steht Bildung auf dem Verhandlungsmenu von SPÖ und ÖVP. Stefan Hopmann, Professor für Schul- und Bildungsforschung an der Uni Wien, hat für die Ankündigungen nur Kopfschütteln über. Verpflichtendes Vorschuljahr? "Teurer Humbug." Senkung der Klassenschülerhöchstzahl? "Falsches Problem." Bessere Pisa-Ergebnisse durch Gesamtschule? "Über Schulstrukturen kann man keine Qualität erzeugen."


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Stichwort Vorschuljahr: "Schule ist ja keine Wurstfabrik. Wenn man ein Jahr früher anfängt, hat man mehr Wurst? Unsinn!" Die Norweger haben den früheren Schuleintritt evaluiert. "Im besten Fall sind die Ergebnisse neutral, oft ist es aber schädlich." Hopmann ist "massiver Anhänger der Frühförderung, aber nur wenn sie gezielt an die Kinder geht, die es brauchen, und wenn sie kontinuierlich verbindlich weiter durchgezogen wird". Bei dem Pflichtjahr für alle erreichen Kinder aus Milieus ohne Förderung gerade den Status, den andere ohnehin schon haben: "Wenn ich allen 20 Cent gebe, haben die, die schon einen Euro haben, mehr. Frühförderung sei wichtig für Kinder mit Entwicklungsproblemen, die übrigen sollten heranwachsen, spielen, sich entwickeln. Wenn ich es für alle mache, dann verneble ich den Effekt für die, die es brauchen".

Gefährlich ist der Frühstart, weil für Kinder "das Gefühl, etwas zu können, wichtig ist. Den Kindern aus schwachen Schichten wird nun aber ein Jahr früher bewiesen, dass sie etwas nicht können. Man sollte sie lieber gezielt fördern, statt sie zu frustrieren."

Das spitzt sich besonders bei Migrantenkindern zu. "Wir wissen, dass Aufwachsen in Zweisprachigkeit ein Vorteil ist. Wir geben diesen Kindern aber zu verstehen, dass es eine Schande ist. Wenn ich dem Kind sage: Jetzt bring ich Dir ordentlich Deutsch bei, vermittle ich ihm nur, was es nicht kann, und nicht, was es kann. Das ist die Methode, soziale Risiken in biographisches Unglück zu verwandeln."

"Was uns fehlt, ist der

flexible Lehrereinsatz"

Stichwort Senkung der Klassenschülerhöchstzahl auf 25: "Es wird nichts automatisch besser oder schlechter mit der Zahl, sondern mit Flexibilität. Bei manchen Fächern und Themen machen zehn Schüler Sinn, bei anderen 40. Die Einzelschule müsste die Freiheit haben, ihre Lehrer dorthin zu schieben, wo es brennt, und dort weg zu ziehen, wo es nicht brennt. Was uns fehlt, ist der flexible Lehrereinsatz."

Stichwort Gesamtschule: "Das ist eine ideologische Entscheidung für Gleichheit. Aber als Bildungswissenschafter weiß ich, dass sich dann die selben Differenzierungen und Spannungen auftun wie jetzt - nur ohne Inventar, damit umzugehen. Man muss einfach akzeptieren, dass es verschiedene Bedürfnisse gibt." Alle Gesamtschulsysteme haben hinter der Fassade der Gleichheit ihre Gliederung - "die besten zehn in England und in den skandinavischen Ländern sind innen so wie hier die Gymnasien". Es gehe schließlich immer um die Frage: Wie geht man mit der Verschiedenartigkeit der Kinder um. "Viel Durchlässigkeit eröffnet Karrieren."

Das Vorbild des "Pisa-Siegers" Finnland sei untauglich: "Man kann nie sagen, ich will die Stärken eines Schulsystems einer anderen Gesellschaft übernehmen, die Schwächen aber nicht. Finnen und Norwegen haben gewaltige Probleme mit dem Übergang zu dem, was bei uns einer Oberstufe AHS, und zum Arbeitsmarkt betrifft."

Und schließlich: "Es geht nicht darum, ob ein System falsch oder richtig ist, sondern wie es sich zur Gesellschaft verhält. Ich muss niemandem die Gesamtschule aufnötigen, der mit der Hauptschule zufrieden ist. Auf dem Land, ist es ganz legitim, seine Kinder hinzuschicken. In der Stadt ist dort nur, wer es nicht besser weiß, also Migranten. Wenn man hier die Gesamtschule einführt, werden nur die Wartelisten bei den Privatschulen länger."

Die sinnvollste Lösung laut Hopmann: "Nichts für ganz Österreich regeln. Nicht einmal für Graz gilt dasselbe wie für die Steiermark."