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Vorsicht Ansteckungsgefahr!

Von Barbara Ottawa

Wirtschaft
Barbara Ottawa ist freie Journalistin und berichtet vorwiegend über Investitionen und Pensionskassen.

Mit Spannung verfolgen wir derzeit die Entwicklungen in Nordafrika - und Investmentbanker vielleicht noch ein bisschen mehr, wenn auch aus anderen Gründen.


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"Ja dürfen sie denn das?" Derart kaiserlich könnte man die Reaktion einiger Europäer und Amerikaner auf die Proteste in verschiedenen nordafrikanischen Ländern interpretieren. Auch im Investmentbereich wird von ein paar Analysten praktisch gar nicht auf den Freiheitskampf eingegangen, sondern nur darauf, wie sich die "Unruhen" auf den Kapitalmarkt und die Risikoprämien auswirken.

Eine Ausnahme ist da zum Beispiel das niederländische Investmenthaus ING, das in einem Newsletter erwähnt, dass "auf längere Sicht die Ereignisse ein Schritt hin zu einer Stabilisierung" sein könnten, da offensichtlich "gestiegene Lebensmittelpreise, Armut von großen Teilen der Bevölkerung und eine autokratische Regierung die Quelle für den großen Unmut" seien.

Andere Analysten wittern einen möglichen weiteren Anstieg des Ölpreises, der von den Märkten schon vorweggenommen wird, sollte der Suezkanal als Handelsweg gesperrt werden. Dass das derzeit ein unwahrscheinliches Szenario ist, schreiben die gleichen Analysten allerdings bereits ein paar Absätze später selbst. Dann kommt jedoch jenes Wort, das derzeit in Pressemitteilungen und Investorenbriefen am häufigsten in Zusammenhang mit Nordafrika gebraucht wird: "Ansteckung". Was nämlich, wenn die Revolution auf den Nahen Osten übergreift oder auf die Arabische Halbinsel, wo die Ölquellen sind?

Über diese Spekulationen wird zumeist vergessen, dass in Ägypten rund 80 Millionen Menschen leben, deren Arbeitskraft oft ausgenutzt wurde, um dem Land einen Aufschwung zu ermöglichen. Dieser verhalf Ägypten zur Aufnahme in die Kategorie der neuen "Wachstumsmärkte", die je nach Lesart die klassische Kombination der Bric-Staaten, also Brasilien, Russland, Indien und China, ablösen oder ergänzen werden. 2009 wurde Ägypten im gleichen Atemzug mit Kolumbien, Indonesien, Vietnam, der Türkei und Südafrika genannt und zum Akronym Civets zusammengestoppelt.

Das Investmenthaus Goldman Sachs hat bereits 2005 ein paar andere Länder hinzugefügt und sie die "Next 11" genannt. Neben den oben genannten (außer Südafrika und Kolumbien) gehören dazu Bangladesch, Iran, Korea, Mexiko, Nigeria, Pakistan und die Philippinen. Heute spricht der Entwickler des N-11- und des Bric-Konzepts, Jim ONeill, Vorsitzender von Goldman Sachs Asset Management, lieber von Wachstumsmärkten als von Schwellenländern. Aber er sagt selbst, dass alle diese Konzepte "sehr unterschiedliche Länder beinhalten", die stetiges Wachstum gemeinsam haben. Ägypten zum Beispiel schneidet auf seiner Wachstumsumfeldauswertung relativ schlecht ab, und das könnte sich durch die sozialen Umwälzungen verbessern.

Aber die Welt lässt sich nicht so leicht ordnen. Heuer im Jänner waren es zum Beispiel die in den vergangenen Jahren als "langweilig" eingestuften alt-europäischen Märkte und die USA, die weltweit am meisten gewachsen sind - das aber nur, weil sie in der Krise auch am meisten verloren hatten. Dass dieses steile Wachstum dauerhaft ist, bezweifeln viele, denn die demographischen Gegebenheiten sprechen eher dagegen, dass die Nachfrage der Konsumenten ab einem gewissen Punkt noch viel steigen kann. Außerdem warnen Analysten auch in Europa vor einer "Ansteckungsgefahr": Denn was ist wenn sich die Schuldenkrise noch weiter ausweitet? Dann ist alles wieder ganz anders.

Barbara Ottawa ist freie Journalistin und berichtet vorwiegend über Investitionen und Pensionskassen.