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Vorsicht, britischer Humor!

Von Eva Stanzl und Heiner Boberski

Wissen
Auch "Nature" liebt’s skurril: Für das Fachjournal sind kuschelnde Koalas die "herzigsten Tiere".
© corbis/Marco Simoni

Top-Wissenschaftsjournale setzen ihre Weihnachtsthemen vor allem mit Witz in Szene. Und die Klugen dürfen herzlich lachen.


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London/Wien. "Studie ,beweist‘: Männer sind Idioten". Derzeit zählt die Story zu den meistgelesenen Geschichten in den Online-Ausgaben von Medien. Sie bezieht sich auf die Darwin Awards - ironisch gemeinte "Preise" für Menschen, die, da sie ihr Hirn nicht einschalten, unfreiwillig zu Tode kommen. Der Großteil davon sind, wie sich leicht zählen lässt, Männer. Damit sehen die Forscher der Universität Newcastle die These bestätigt, wonach Männer größere "Idioten" sind als Frauen, weil sie, sei es aus Angeberei, Unsicherheit oder Beweisdrang, tollkühner handeln und Konsequenzen seltener zu Ende denken.

Die Medienberichte über diese "Beweisstudie" sind durchaus von Bewusstsein für Skurrilität getragen. Immerhin ist der Herausgeber das renommierte "British Medical Journal" (BMJ), das in seiner "Christmas Edition" auch heuer humorigen Fragestellungen mit standardisierten wissenschaftlichen Methoden zu Leibe rückt, inklusive korrekter Peer Reviews.

Eine selbst ernannte Wahrheitspolizei im Internet findet das aber gar nicht lustig. Unter dem Titel "Idiotentest für Journalisten fordert die ersten Opfer" setzte sie alle, die die Studie gebracht haben, auf eine Blacklist - die sich wie ein ehrenvolles "Who is Who" deutschsprachiger Medien liest. Im Begleitschreiben greifen die Verfasser die Journalisten bitterböse und namentlich an, weil diese so "idiotisch" gewesen seien, "unüberprüft" auf einen "Scherz" von Wissenschaftern "hereinzufallen". Die Namen jener, die hinter dem "ScienceFiles" genannten Unding für "kritische Wissenschaft" stehen, sind auf der Homepage freilich mit der Lupe zu suchen.

Kann es sein, dass jeder Mensch jede wissenschaftliche Studie nachprüfen muss? Dürfen wir uns auf renommierte Journale nicht verlassen? Schlagen Forscher sich tatsächlich in böser Absicht mit der Erstellung von Studien herum, nur um Schreiberlinge aufs Glatteis zu führen und - aus dem Hinterhalt - zu schauen, ob sie wirklich kritische Geister sind?

Anruf der "Wiener Zeitung", die dem Unterschied zwischen Kritik und Paranoia auf den Grund gehen will, beim "British Medical Journal": Meinen Sie die Studie als Scherz? "Nein", antwortet eine genuin verblüffte Sprecherin des Mediums: "Welcher Scherz?" Einige Erklärungen später begreift sie die Hintergründe und setzt fort: "Sie sind nicht die Erste, die uns dazu anruft. Das passiert eigentlich jedes Jahr zu Weihnachten", sagt sie und erklärt den Sinn der Weihnachtsausgabe: "Unbeschwert" sollten fünf ausgewählte Themen sein, keineswegs bierernst. In der Folge schickt sie ein Schreiben eines Studienautors.

Die zehn herzigsten Tiere

"Die Studie ist echt und auf der Website der Darwin Awards nachprüfbar", erklärt darin Dennis Lendram vom Institut für Zellmedizin der Universität Newcastle mit trockenem Humor: "Mein Sohn, Ben, ist ein großer Fan dieses Preises. Er erklärte mir eines Tages, dass die allermeisten Preisträger Männer seien, und meinte, dass Männer wohl Idioten seien. Ich hielt ihn für weise für sein Alter und zeigte die Zählung meinem Kollegen John Isaacs. Um sie in der BMJ Christmas Edition veröffentlichen zu können, bauchten wir noch einen Risikoforscher und einen Experten für Notfallaufnahmen. Beides fanden wir in Andy Gray, der wie ebenfalls als Fan der Darwin Awards entpuppte. Das BMJ verlangte dann von uns, die Datengrundlage zu erweitern", so Lendram, und: "Wie mir scheint, haben wir den Nerv einer weitverbreiteten Annahme getroffen." Das Papier habe es in die Top 100 der Altmetrics Database geschafft, die den Impakt wissenschaftlicher Studien in Medien misst.

Kämpfen Wissenschaftsjournale mit frivolen Mitteln um Leser? Wollen sie Forschung mit seichten Themen popularisieren, damit mehr öffentliche Gelder fließen? Beides ist denkbar. Allerdings gibt es weitaus dümmere Partygespräche als skurrile Studien - und warum soll Wissenschaft nicht auch mal bei Weihnachtsfeiern besprochen werden?

So publiziert das überaus seriöse britische Fachjournal "Nature" Weihnachtsrankings, die zum Lachen bringen und zum Nachdenken anregen sollen. Zu den "Zehn herzigsten Tieren 2014" zählen auf Platz 1 "kuschelnde Koalas", auf Platz 2 "gastfreundliche Pinguine" und auf Platz 3 eine "starrende Spinne". Weiters stehen frisurbewusste Affen, Roboter mit Schwarmintelligenz, ein tanzender Frosch, ein "Dumbo-Oktopus" mit Riesenflossen und Hunde, die ihr Geschäft nach dem Magnetfeld der Erde ausrichten, auf der Liste. Der amüsante Kommentar der "Nature"-Redakteurin im Video auf www.nature.com: "Wissenschaft kann verflixt herzig sein."

Erratum
Im Artikel "Vorsicht, britischer Humor!" ("Wiener Zeitung", 18. Dezember 2014) wurde als Quelle einer Blacklist von Journalisten irrtümlich "Sciencewatch" genannt, der korrekte Name lautet "ScienceFiles". Wir bedauern diesen Fehler.