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Vorsitz für gespaltenes Land

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

"Belgien gut vorbereitet"; alle Parteien pro EU. | Neue Regierung könnte schon im Oktober stehen. | Brüssel. Der immer noch amtierende belgische Premierminister Yves Leterme hatte für drei Jahre politischen Stillstand in seinem Land gesorgt und mehrfach zurücktreten wollen, bis seine Regierung im April endgültig gescheitert ist. Dafür wurde seine Partei - die flämischen Christdemokraten CD&V - vor zwei Wochen von den Wählern abgestraft. Weil Leterme aber bis zur Bildung einer neuen Regierung die Geschäfte weiterführt, steuert er Belgien am 1. Juli in den zwölften EU-Vorsitz seit der Gründung der Union. Dann endet der Vorsitz Spaniens.


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Wahlsieger Bart de Wever von den flämischen Separatisten der "Neuen Flämischen Allianz" feilt unterdessen mit Hochdruck an einer Koalition, die Letermes Team schon im Oktober an der EU-Spitze ablösen soll. Als wahrscheinlichster neuer Premier gilt der Wahlsieger in Wallonien, der Sozialist Elio di Rupo.

Und was rund um die Wahlen noch unvorstellbar schien, könnte tatsächlich gelingen, meint Steven Lannoo, Politologe an der Universität Gent. "Jeder ist optimistisch für eine Regierungsbildung bis Oktober", sagte er der "Wiener Zeitung". Der Test für die Koalitionsverhandlungen würden freilich die Debatten um die Trennung des letzten gemischt-sprachigen Wahlbezirks Brüssel-Halle-Vilvoorde und die Staatsreform für mehr Kompetenzen für die Regionen. Daran haben sich zwar alle bisherigen Regierungen die Zähne ausgebissen. Doch es sei "das erste Mal, dass alle überzeugt sind, dass ein Schritt in diese Richtung gemacht werden muss".

Schwerpunkt Wirtschaft

Leterme betonte bei der Präsentation des belgischen Vorsitzprogramms am Freitag, dass Belgien bestens auf seine Aufgabe vorbereitet sei, "wer auch immer die Föderalregierung führt". Das liege daran, dass sowohl die politische Elite, als auch die Bevölkerung im Land sehr pro-europäisch eingestellt seien, erläuterte Lannoo. So unterschiedlich die Interessen der jeweiligen Parteien in den beiden Landesteilen Flandern und Wallonien sonst auch sein mögen. Größter Konsens unter allen politischen Kräften außer dem rechtsextremen Vlaams Belang sei ein Bekenntnis dazu, "die EU voranzubringen".

Zudem wird der belgische EU-Vorsitz wohl der erste, der vollständig nach den Regeln des Lissabonner Vertrags ablaufen wird. Außenminister Steven Vanackere verwies darauf, dass der belgische Vorsitz uneingeschränkt hinter dem ständigen EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy - ebenfalls Belgier - und EU-Außenministerin Catherine Ashton stehen werde. Belgien werde eine "unterstützende Rolle" einnehmen, sagte Europastaatssekretär Olivier Chastel in einem Interview.

Inhaltlich hatten die belgischen Regierungsspitzen wenig Überraschendes zu bieten. Bis Anfang 2011 müssten eine europäische Finanzmarktaufsicht etabliert und Hedgefonds reguliert werden, sagte Leterme. Weitere Schwerpunkte seien der Aufbau eines Europäischen Auswärtigen Dienstes unter Ashton für eine möglichst einheitliche EU-Außenpolitik und die Verwirklichung einer gemeinsamen Asylpolitik. Der Zeitplan für den Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien noch heuer sei "ziemlich eng", meinte er. Wie berichtet, geht der belgische EU-Botschafter längst davon aus, dass es wohl länger dauern wird.

Für Erheiterung sorgte Leterme, der am belgischen Nationalfeiertag schon einmal aus Versehen die französische Nationalhymne angestimmt hatte, als er am Freitag dazu ansetzte, die Bedeutung der "Dark Force" ("Dunkle Macht") von Ratspräsident Van Rompuy hervorzuheben. Gemeint war freilich die "Task Force", wie sich der Premier umgehend verbesserte. Das ist jene hochrangige Arbeitsgruppe, die bis Oktober Vorschläge für stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit unter den EU-Ländern und eine Verschärfung des Eurostabilitätspakts vorlegen soll.