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Vorsitz im Schatten der Eurokrise

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Kopenhagen übernimmt für halbes Jahr EU-Präsidentschaft.


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Brüssel. Noch keine drei Monate ist die neue dänische Regierung unter der Sozialdemokratin Helle Thorning-Schmidt im Amt, wenn sie am 1. Jänner 2012 den EU-Vorsitz mitten in der Eurokrise übernimmt. Die Dänin hat bisher wenig Erfahrung auf dem Brüsseler Parkett der Staats- und Regierungschefs. Doch können sie und ihre Minister sich auf einen erfahrenen Beamtenapparat mit erstklassiger EU-Kompetenz stützen.

Bereits zum siebenten Mal übernehmen die Repräsentanten des kleinen nordischen Königreichs seit dem Beitritt 1973 die Führungsrolle in der Union. Beim letzten EU-Vorsitz im Jahr 2002 haben die Dänen die bisher größte EU-Erweiterung um zehn Länder per 2004 mit dem Abschluss der Verhandlungen finalisiert.

Doch diesmal sieht die Lage etwas anders aus: Als Nicht-Euromitglied kann Kopenhagen das Ruder bei der Eurorettung nicht in die Hand nehmen. Seit dem letzten EU-Gipfel gibt es keine Einigkeit mehr unter den 27 EU-Mitgliedstaaten. London hat sich beim aktuellen Eurorettungsversuch "Fiskalpakt" mit unerfüllbaren Bedingungen quergelegt. Schon im ersten Quartal des kommenden Jahres müssen die großen Euro-Wackelkandidaten Italien und Spanien gemeinsam rund 150 Milliarden Euro zu leistbaren Konditionen auf den Finanzmärkten aufnehmen, um fällige Staatsanleihen zu bedienen - der erste große Test. Beim Fiskalpakt, der bis Ende Jänner ausverhandelt werden soll, sind die Dänen zwar dabei, haben aber kaum Gestaltungsmöglichkeiten. Denn gelten sollen die neuen Vorschriften für eine weiter verschärfte Haushaltsdisziplin inklusive Schuldenbremsen und fast automatischen Sanktionen in erster Linie für die Euroländer, die daher auch am meisten mitzureden haben.

Pläne für Finanzrahmen

Dass das Naheverhältnis der Dänen zu den Briten ausreicht, um diese wieder ins Boot zu holen, wird bezweifelt - zumal die beiden Regierungen ganz unterschiedlichen politischen Familien angehören. Die Sozialdemokratin aus Kopenhagen trifft auf die Tories unter Premierminister David Cameron, die sich im EU-Parlament mit der - EU-skeptischen - polnischen Partei Recht und Gerechtigkeit von Jaroslaw Kaczynski zusammengetan haben. Geleitet und konzipiert werden die Sitzungen der Staats- und Regierungschefs zum Euro und seiner Rettung von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, nicht von Thorning-Schmidt.

Bleibt den Dänen das Alltagsgeschäft abseits der Krisenbewältigung. So wollen sie den EU-Finanzrahmen von 2014 bis 2020 vorantreiben - vor den Problemen mit der Gemeinschaftswährung sind das die mühsamsten Verhandlungen in der Union. Nach Vorschlag der Kommission soll sich die EU auf Ausgaben über knapp 1000 Milliarden Euro für sieben Jahre verpflichten. Nettozahlerländern wie Deutschland, Frankreich und Österreich ist das viel zu viel. Auf der anderen Seite pochen die Empfänger im Osten und Süden der Union auf eine möglichst hohe Beibehaltung der Regionalförderungen. Das EU-Parlament will immer lieber noch mehr Geld als die Kommission fürs Rahmenbudget und ist voll mitbestimmungsberechtigt.

Dass es für den künftigen Finanzrahmen unter dem dänischen Vorsitz bis Ende Juni bereits eine Einigung gibt, erwartet zwar niemand. Auch dass in Frankreich im April oder Mai Präsidentenwahlen stattfinden, dürfte nicht hilfreich sein. Doch hoffen die Dänen, zumindest eine grundsätzliche Struktur des künftigen EU-Haushalts festzurren zu können.

Gemeinsames Asylsystem?

Sie selbst haben sich die Förderung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energiequellen auf die Fahnen geheftet, wie Europaminister Nicolai Wammen erklärte. So könnten die umfangreichen Verhandlungen über eine Energieeffizienzrichtlinie abgeschlossen werden. Unter dem Schlagwort "Sicheres Europa" wollen sich die Dänen dafür einsetzen, das schon verloren geglaubte Ziel eines gemeinsamen EU-Asylsystems bis Ende 2012 doch noch zu schaffen.

Die Stärkung des Schengensystems steht ebenfalls auf der Agenda. Als Zeichen ihrer europäischen Einstellung hat Thorning-Schmidt gleich nach Amtsantritt auch die verstärkten Grenzkontrollen zu Deutschland wieder abgeschafft, die ihre Vorgänger kurz vor der Wahl aus angeblicher Angst vor Kriminellen aus Osteuropa eingeführt hatten.

Doch all das wird wie schon beim zu Ende gehenden EU-Vorsitz der Polen vom Hauptthema Eurorettung überschattet. Und wie schwierig es für die dänische Premierministerin dabei werden dürfte, zeigen Aussagen des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, welche die Wochenzeitung "European Voice" vom EU-Gipfel im Dezember kolportiert: "Ihr seid draußen (aus dem Euro), ihr seid klein und ihr seid neu. Wir wollen nichts von euch hören", soll er gegenüber Thorning-Schmidt erklärt haben.