Warschau übernimmt am 1. Juli EU-Vorsitz. | Anwalt für die Erweiterung.
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Warschau/Brüssel. Kroatien hätte schön in das Programm gepasst. Der Abschluss der EU-Beitrittsverhandlungen mit Zagreb würde sich in die Ambitionen der erweiterungsfreundlichen Polen durchaus fügen. Würde. Denn nun können es sich die Ungarn auf die Fahnen heften. Einen Tag, bevor Warschau von Budapest den EU-Vorsitz übernimmt, markiert die Beitrittskonferenz mit Kroatien am heutigen Donnerstag das Ende der Beitrittsgespräche. Nachdem die EU-Botschafter der Mitgliedsländer darüber bereits Einvernehmen erzielt haben, ist das Treffen mit dem kroatischen Außenminister Gordan Jandrokovic nur mehr eine feierliche Formalität.
Doch bleibt auch für Polen während des kommenden Halbjahres die Erweiterung der EU eine Priorität. Noch heuer soll der Beitrittsvertrag mit Kroatien unterzeichnet werden, damit die Aufnahme des Landes in die Union als 28. Mitglied am 1. Juli 2013 sichergestellt wird. Im Herbst könnte auch Serbien offiziellen Kandidatenstatus erhalten, Montenegro macht sich ebenfalls Hoffnungen darauf.
Und auch mit Ankara hat Warschau Pläne: Ein Verhandlungskapitel soll eröffnet und abgeschlossen werden. Von Erweiterungsmüdigkeit oder Skepsis gegenüber einem EU-Beitritt der Türkei ist nämlich an der Weichsel - anders als an der Donau - nichts zu spüren. Im Gegenteil: "Wir sehen keinen Grund, warum es mit der Türkei in der EU nicht klappen sollte", meint etwa Adam Jasser, Staatssekretär in der Kanzlei des Premierministers. Europa würde von einer Aufnahme der Türkei profitieren.
Tauziehen ums Geld
Die Debatten über mögliche Nachteile einer Erweiterung der Union kennt Polen von der Zeit vor dem eigenen Beitritt nur zu gut. Und andererseits weiß es genau, wie sehr ein Land von der Annäherung an die EU profitieren kann. Nicht zuletzt dank Finanzhilfen aus Brüssel konnte es in den vergangenen Jahren massiv in die Infrastruktur - oder beispielsweise auch in die Modernisierung der Landwirtschaft - investieren. Überhaupt betonen polnische Politiker gern, dass die Wirtschaft ihres Landes in den letzten zwanzig Jahren durchgängig gewachsen ist. Und dass sie nicht einmal während der Finanzkrise in einer Rezession war - was sonst kein EU-Staat behaupten kann.
Doch wolle Polen sich nun keineswegs auf nationale Interessen konzentrieren, erklärte Premier Donald Tusk bei einer Rede vor dem Parlament in Warschau. Es möchte vielmehr zur treibenden Kraft der EU werden und den Tendenzen zu einer Rückkehr zu einzelstaatlichem Denken entgegensteuern.
Diese Kraft möchte Warschau - das sich gern als Anwalt etwa der Ukraine sieht - auch über die Grenzen der Union hinaus verbreiten und das Augenmerk auf die östlichen EU-Nachbarn lenken. Die gemeinsam mit Schweden erfundene "Östliche Partnerschaft" soll bei einem Gipfeltreffen im September in Warschau neuen Schwung erhalten.
Schon im Juni haben die beiden Länder versucht, die EU-Beitrittsperspektive für die Partnerländer in den Beschlüssen der EU-Außenminister unterzubringen. Unterstützung hatten sie dabei von den meisten neueren Mitgliedstaaten sowie Großbritannien und Irland erhalten. Vor allem Deutschland wehrte das Ansinnen aber ab, um "keine verfrühten und falschen Hoffnungen" in Aserbaidschan, Armenien, Georgien, Moldawien und der Ukraine zu nähren. Bisher enthält die EU-Nachbarschaftspolitik nämlich keine Beitrittsperspektive.
Überhaupt wird sich Polen bei all seinen Ambitionen an die Realitäten der täglichen EU-Politik halten müssen. So hat die EU-Kommission Warschau mit der Vorlage eines neuen EU-Finanzrahmens (siehe unten) eine Mammutaufgabe überlassen - auch wenn von Polen noch keine Durchbrüche in den Verhandlungen erwartet werden. Denn das Tauziehen ums Geld erstreckt sich üblicherweise über eineinhalb Jahre.
Den Auftakt des polnischen EU-Vorsitzes überschatten werden die hektischen Rettungsbemühungen für Griechenland und daher die Eurozone. In diser führt allerdings der Luxemburger Premier Jean-Claude Juncker den Vorsitz, tonangebend sind die großen Euroländer Deutschland und Frankreich. Eine Führungsrolle kann Polen dabei nicht einnehmen: Es ist nämlich kein Mitglied der Eurozone. Wann es das wird, ist noch völlig offen.