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Vorverurteilte Kämpfer

Von Veronika Eschbacher

Politik

Laut Innenministerium kein aktueller Anlass zur Sorge in Österreich.


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Damaskus/Wien. "Seine Mutter sagte zu ihm: Ich brauche dich hier bei mir. Worauf er sanft antwortete: Meine Mütter in Syrien brauchen mich auch." Dieser Satz stammt aus einem Propagandavideo auf Youtube über den schwedischen Jihadisten Abu Kamal, der im März in Aleppo bei Kampfhandlungen an Seite syrischer Rebellen ums Leben kam. Abu Kamal soll nicht der einzige Europäer sein, der gegen das Regime des syrischen Machthabers Bashar al-Assad kämpft. Wie der britische Nachrichtensender BBC unter Berufung auf den obersten Terrorismus-Experten der EU, Gilles de Kerchove, berichtet, sind unter den tausenden ausländischen Jihadisten, die am syrischen Bürgerkrieg teilnehmen, rund 500 radikale Islamisten aus Europa.

Die Tageszeitung "Presse" schrieb unter Berufung auf "Sicherheitskreise" von 60 Männern aus Österreich, die im syrischen Jihad kämpfen und somit mehr als ein Zehntel der europäischen Kämpfer stellen sollen. Auf Nachfrage der "Wiener Zeitung" konnte man im Innenministerium diese Zahl nicht bestätigen.

Es sei "bekannt, dass der Konflikt in Syrien auch ein Anziehungspunkt ist für Menschen, die eigene politische Motivation dort einzubringen", sagt Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Innenministeriums. Solche Beobachtungen würden durchaus auch in Österreich gemacht, wobei Unterstützung auf verschiedenen Ebenen ablaufe. Am unteren Ende der Skala liege ideologische Unterstützung der syrischen Rebellen. In einem nächsten Schritt folge konkrete Unterstützung wie Geld- und Sachleistungen und am "Ende der Radikalisierung" auch das persönliche Engagement in Kampfhandlungen, erklärt Grundböck. Diese letzte Stufe sei aber in Österreich bloß "sehr vereinzelt" zu beobachten. Ein Beispiel sei der kürzlich auf dem Weg nach Syrien in der Türkei verhaftete Mohamed M.

"Insgesamt gesehen gibt es für Österreich keinen aktuellen Anlass zur Sorge", meint Grundböck. Der Verfassungsschutz beobachte weiter, um Entwicklungen rasch wahrzunehmen und auch einzuschreiten, falls dies notwendig werde. Auf die Frage, ob bisher schon eingeschritten wurde, spricht er von "einzelnen Anzeigen". Weitere Details will er aber nicht nennen.

Auch die Erkenntnisse einer Anfang April veröffentlichten Studie des International Centre for the Study of Radicalisation (ICSR) zeugen von Einzelfällen in Österreich. Demnach sind in den vergangenen 15 Monaten zwischen 140 und 600 Kämpfer aus europäischen Ländern nach Syrien gereist - sie stellen 7 bis 11 Prozent aller ausländischen Kämpfer. Die meisten Europäer kamen aus den Niederlanden, Großbritannien und Frankreich. Für Österreich zeigt die Länderstatistik einen einzigen Kämpfer an.

Wie gefährlich sinddie Rückkehrer?

Sorgen bereiten die Zahlen vor allem deswegen, weil die Kämpfer aus dem syrischen Bürgerkriegsgebiet radikalisiert nach Europa zurückkehren könnten. So beobachtet der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich die Reisen deutscher Extremisten "mit großer Sorge", wie er im Interview mit "Spiegel Online" sagt. Schließlich gebe es auch Aufrufe an "die im Kampf ausgebildeten Europäer", später in ihre Heimat zurückzukehren und dort den Jihad (Heiligen Krieg) fortzusetzen.

Die Studie des ICSR fordert aber zur Differenzierung auf. Vielen Medien und Analysten würden alle ausländischen Kämpfer über einen Kamm scheren und als Terroristen und Al-Kaida-nahe einstufen. "Die Realität ist aber viel komplexer", heißt es in der Studie. Weder seien alle Rebellen in Syrien Jihadisten, noch seien alle jihadistischen Gruppen mit Al-Kaida verbunden. Zudem habe nicht jeder Kämpfer, der einer Extremistengruppe beitrete, eine voll ausformulierte jihadistische Weltanschauung. Die am meisten zitierten Gründe für den Beitritt zu einer Rebellengruppe seien die entsetzlichen Bilder des syrischen Bürgerkriegs, Geschichten über Gräueltaten des Regimes und ein gefühlter Mangel an Unterstützung durch den Westen und die arabischen Länder.

In vielen Fällen übernähmen die einzelnen Kämpfer die volle Jihadisten-Ideologie erst vor Ort, in engerem Kontakt mit "hartgesottenen" Rebellen. Und "nur eine kleine Anzahl von ihnen könnte nach einer Rückkehr nach Europa jemals in terroristische Aktivitäten involviert sein" - wenngleich eine potenzielle Bedrohung nicht gänzlich auszuschließen sei.

In Europa ist die Beunruhigung über Menschen, die aus Kriegsgebieten zurückkehren, nicht unbekannt. Während der Jugoslawien-Kriege in den 1990ern hatte man auch in Österreich Angst, dass "Wochenend-Kämpfer" den Konflikt hierher importieren könnten. Heute bereiten den Sicherheitsbehörden vor allem Einzeltäter Sorgen, die nicht durch Reisetätigkeit in Konfliktgebiete identifiziert werden können und sich unbemerkt radikalisieren. "Wer zu Hause am Rechner Propagandavideos schaut, sich mehr und mehr abschottet, ist schwer zu entdecken", warnt Friedrich.