Wahlkampf ohne Visionen: Barack Obama und Mitt Romney versprechen, dass Amerika wieder werden muss, wie es einmal war.
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Michelle Obama spricht dieser Tage viel über ihren Mann. "Sein Auto war so rostig, dass ich durch die Löcher die Fahrbahn sehen konnte", immer wieder erzählt die First Lady Geschichten aus dem Frühling ihrer Beziehung zum Präsidenten. Wie es sich im gegenwärtigen Dienstauto fährt, darüber spricht sie nie.
Auch Ann Romney, die Frau des republikanischen Herausforderers, redet gerne über das junge Familienglück in einer Kellerwohnung. Von den Villen, Sommersitzen und Motorbooten, die zum Inventar der Multi-Millionärsfamilie gehören, davon erzählt sie nie.
Die amtierende und die mögliche First Lady fügen sich ins Gesamtbild dieses Wahlkampfs: Allerorts wird mit sentimental-rückwärtsgewandtem Blick der für dieses Land so identitätsstiftende amerikanische Traum beschworen: Alles ist möglich, wenn man sich nur richtig anstrengt. Der Glaube daran ist der Kitt, der die Nation bisher zusammengehalten hat.
Doch der bröckelt und bröselt: Die große Krise hat die Vereinigten Staaten heute zum Land der unbegrenzten Gegensätze gemacht. Während Apple, Google & Co Milliarden verdienen, verrotten quer durchs Land Straßen, Schienen und Stromleitungen. Die Staatsschulden explodieren, China ist als neue Supermacht näher gerückt. Im Mittelstand grassiert die Abstiegsangst. Verunsicherung, Aggression und Angst vor weiteren Veränderungen prägen die Gefühlslage.
Barack Obama verzichtet deshalb in seinem Wahlkampf auf kühne Visionen und große Emotionen. Moderat im Ton, um nur ja niemanden zu verschrecken, verspricht der Amtsinhaber ein Comeback des Mittelstandes. Milliarden-Investitionen in Bildung und Infrastruktur sollen den Menschen wieder ein besseres Leben ermöglichen. Ausgerechnet mit dem Wahlslogan "Vorwärts" will Obama an die Vergangenheit, an die guten Zeiten der 90er Jahre anknüpfen.
Die Protestbewegung "Occupy Wall Street" hat zwar mit ihrem Ruf "Wir sind die 99 Prozent" die Forderung nach sozialem Ausgleich für US-Verhältnisse ungewohnt laut thematisiert - darüber hinaus aber im Machtgefüge der demokratischen Partei keine Spuren hinterlassen.
Ganz anders ist die Situation bei Mitt Romneys Republikanern: Dort haben die wütenden Anhänger der "Tea Party" Mandate und Macht erobert. Auch sie sehen in der Vergangenheit die bessere Zukunft. Sie fordern trotzig das Amerika Ronald Reagans zurück. Globalisierung und Digitalisierung verdrängen sie, so wie den Klimawandel. Dabei sind ihre politischen Rezepte weitaus radikaler als jene Ronald Reagans: Kompromiss gilt nun als Verrat, Pragmatismus als Schwäche.
Auch deshalb ist das politische System der USA an der Grenze der Handlungsfähigkeit angelangt. Die beiden staatstragenden Parteien scheinen nicht mehr miteinander zu können, ja nicht mehr miteinander zu wollen. Ob das Weiße Haus nach dieser Wahl einen neuen Bewohner bekommt oder nicht: Der Blick zurück bleibt mit Sicherheit die erbaulichere Perspektive für den künftigen Präsidenten als die Aussicht vorwärts, dort, wo die Zukunft wirklich liegt.