)
Tausende Anwohner des Ätna bereiten sich angesichts immer neuer Lavaströme und Ausbruchsstellen des sizilianischen Vulkans auf die Flucht vor. Besonders gefährdet war und ist der Ort Nicolosi am Fuße des Feuerspuckers. Mit einem Tempo von 150 m pro Stunde näherte sich ein Lavastrom dem 5.000-Seelen-Dorf, sodass italienische Geowissenschaftler wie der Geophysiker Guiseppe Pantane die Behörden schon aufforderten, Schutzwälle gegen die Lavafront zu errichten.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Damit Mensch und Material einem solchen Vulkanausbruch in Zukunft nicht mehr schutzlos ausgeliefert sind, erforschen Vulkanologen der Münchner Maximilian-Universität jetzt das Verhalten von Vulkanen im Labor. Dabei bedienen sie sich eines weltweit einzigartigen Gerätes, der sogenannten Fragmentationsbombe. Mit Hilfe dieses "Minivulkanes" hoffen die Geowissenschaftler, die Explosivkraft - und damit auch die Gefährlichkeit - von Vulkanen besser beurteilen zu können.
"Es geht uns vor allem darum, Zeitpunkt und Verlauf von Vulkanausbrüchen besser vorherzusagen als bisher", erklärt der Professor für Mineralogie und Petrologie Donald Bruce Dingwell. "Ohne eine solche Anlage konnten wir die Gesteine immer erst nach den Ausbrüchen auf ihre Zusammensetzung untersuchen und dann ist es meist zu spät", meint der gebürtige Kanadier scherzhaft. "In unseren Versuchsvulkanen können wir jetzt die Parameter wie Druck, Temperatur und Gesteinszusammensetzung beliebig verändern und dann ihre Auswirkungen auf die Explosivität eins Vulkans exakt bestimmen." Ein wichtiger Schritt, um die Unterschiedlichkeit der verschiedenen Vulkantypen verstehen und ihr Verhalten bei einem Ausbruch voraussagen zu können.
"Gesteinsbrühe" im "Druckkochtopf"
Dingwell und sein Team mixen bei ihren Versuchen die verschiedensten Gesteinstypen zusammen und schieben die Mischung in die Fragmentationsbombe - ein massives Stahlrohr, das mit einer Heizung ummantelt ist und nach oben in einen Auffangkessel mündet. In diesem dickwandigen Vulkanofen, der zusätzlich noch mit einer Gaszufuhr ausgestattet ist, kochen die Wissenschaftler ihre "Gesteinsbrühe" - das sogenannte Magma - bei unterschiedlichen Druck- und Temperaturbedingungen. Die Gesteinszusammensetzung ist verantwortlich für die Zähigkeit der aus den Vulkanen austretenden Lava, von der wiederum abhängt, wann ein Lavastrom ein bewohntes Gebiet erreicht. Die Bestimmung dieser von den Geowissenschaftlern als Viskosität bezeichnete Eigenschaft kann also unter Umständen dazu dienen, wichtige Evakuierungsmaßnahmen rechtzeitig einzuleiten. "Entscheidend ist der Gehalt an Siliziumdioxid, also Quarz", weiß Dingwell. "Denn Quarz ist als Schmelze viel viskoser als alle anderen in der Erdkruste vorkommenden Oxide."
Hochviskose Vulkantypen brechen im allgemeinen explosiv aus, wie beispielsweise der Soufriere auf der Insel Montserrat, die zu den Kleinen Antillen gehört. Hier kam es immer wieder zum Ausbruch sogenannter pyroklastischer Ströme. Diese Glutwolken aus Bimsstein und Asche sind besonders gefährlich, da sie sich mit einer Geschwindigkeit bis zu 100 Kilometern in der Stunde fortbewegen können und alles unter sich ersticken und verbrennen. Die verschiedenen Ausbrüche des Soufriere kosteten schon viele Inselbewohner das Leben.
Gefährlichkeit hängt von der Viskosität ab
Ein klassisches Beispiel für den weitaus ungefährlicheren, niedrig viskosen Eruptionstyp sind die Vulkane auf den hawaiianischen Inseln. Die austretenden Lavaströme sind relativ langsam und ihre Fließrichtung wird im Wesentlichen durch die Topographie bestimmt. Durch solche Vulkane kommen meist keine Menschen ums Leben. Allerdings kann es zu großen Materialschäden kommen. Deshalb ist es wichtig, dass Geowissenschaftler rechtzeitig genau berechnen, an welchen Stellen Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden müssen.
Der Ätna ist auch eher ein Beispiel für den ungefährlicheren Eruptionstyp, obwohl es im Laufe seiner Ausbruchgeschichte auch schon explosive Ausbrüche vorkamen.
Um die unterschiedlichsten Viskositäten in Abhängigkeit von Mineralzusammensetzung, Temperatur und Druck herauszubekommen, benutzen die Mitarbeiter von Dingwell die sogenannte Mikropenetrationstechnik. "Hierbei lassen wir eine Iridiumhalbkugel in die Schmelze einsinken, deren Eindringgeschwindigkeit Auskunft über die Viskosität gibt", erklärt der Mineraloge Conrad Gennaro die Methode. "Sinkt die Kugel schnell, ist das Material niedrig viskos; sinkt sie langsam, ist die Schmelze als relativ zäh zu betrachten", sagt Gennaro. Das einzigartige an dieser Technik ist, dass die Wissenschaftler eine Apparatur verwenden die - genau wie ein richtiger Vulkan - unter hoher Temperatur und Druck steht.
Doch das sind nicht die einzigen Parameter, die den Verlauf einer vulkanischen Eruption bestimmen. "Wichtig ist auch, ob das Magma viel Gas enthält oder viel Kristalle und aus welcher Tiefe es kommt", ergänzt Dingwell. Alle diese Parameter können die Münchner Geowissenschaftler in ihrem Vulkanofen variieren. Beim Ätna hat sich der Druck durch den tagelangen Austritt von Lava und Gas schon soweit abgebaut, dass kaum ein Geologe noch einen explosiven Austritt für möglich hält.
Seismische Messungen besonders wichtig
Besonders wichtig für die Vorhersage sind auch die seismischen Messungen von den Untersuchungsstationen. "Beim Ätna sind im Vorfeld des Ausbruches kleine Beben gemessen worden", erklärt der Direktor des Instituts für Vulkanologie in Catania, Giovanni Frazzetta. "Wenn man dann bestimmte andere Vorraussetzungen wie hohe Temperaturen und starken Druck hat, kann man eine Voraussage treffen, ob der Vulkan an der Schwelle zu einem Ausbruch steht", hofft Dingwell.
Um den nächsten Ausbruchs des Ätna besser voraussagen zu können, will er deshalb im August nach Sizilien fahren und die gemessenen seismischen Daten ebenso wie das ausgetretene Material genau analysieren. Dann wird er mit diesen Parametern seine Fragmentationsbombe füttern und die Ausbrüche rekonstruieren.
Um Gefährdungspotentiale besser einschätzen zu können, ist auch die Münchener Rückversicherung vor einiger Zeit an den Kanadier herangetreten. "Denn wer will schon, dass seine Investitionen im wahrsten Sinne des Wortes unter Schutt und Asche vergraben werden", so Dingwell lächelnd.