Ob die Appelle Wirkung zeigen, bleibt unklar. Während Staats- und Regierungschefs aus ganz Europa in Frankreich für ein Ja beim Referendum zur EU-Verfassung werben, konsolidiert sich dort das Lager der Gegner des Vertragswerks. Dabei sei eine Neuverhandlung des Textes ausgeschlossen, warnte Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso.
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Aus ganz Europa kamen sie. Dem Besuch des deutschen Außenministers Joschka Fischer vor wenigen Tagen folgte eine Visite der lettischen Präsidentin Vaira Vike-Freiberga. Mit Frankreichs Außenminister Michel Barnier und dem stellvertretenden Komissionspräsidenten Franco Frattini warb sie in Lille für ein Ja zur EU-Verfassung. Denn Umfragen zu Folge zeichnet sich keine Mehrheit für das Vertragswerk ab, über das die Französinnen und Franzosen am 29. Mai abstimmen sollen - auch wenn sich der Trend schon mehrmals umgekehrt hat. Derzeit geben allerdings mehr Menschen an, mit Nein denn mit Ja votieren zu wollen.
Daher sah sich auch Kommissionpräsident Jose Manuel Barroso zu einem erneuten Appell gezwungen. Einen Tag nachdem alle 25 Kommissionsmitglieder in Zeitungsberichten sich für die EU-Verfassung stark machten, forderte Barroso am gestrigen Mittwoch "ein Zeichen des Vertrauens". "Wenn es unglücklicherweise ein Nein gäbe, so würde dies für Frankreich und für Europa als eine Schwäche angesehen werden", erklärte er im Radiosender "Europe 1". Einen Plan B, sollte das Vertragswerk abgelehnt werden, gäbe es nicht, betonte Barroso - und schloss eine Neuverhandlung des Textes aus. Auch Frankreichs Ministerpräsident Jean-Pierre Raffarin warnte vor den Folgen eines Nein. Dies würde in ganz Europa einen politischen Schock und Chaos auslösen.
Sorge in den Niederlanden
Grund zur Sorge hat aber auch die Regierung in den Niederlanden, wo die Bevölkerung am 1. Juni über die EU-Verfassung abstimmen soll. Auch dort sind nämlich derzeit die Gegner des Vertragswerks in der Mehrheit. Und sie sehen sich in ihrer Ablehnung immer mehr bestärkt. So sorgte ein Zeitungsbericht für Aufregung, dem zu Folge der niederländische Gulden bei der Einführung des Euro im Jahr 2001 um fünf bis zehn Prozent unterbewertet wurde. Finanzminister Gerrit Zalm bestätigte die Angaben bereits. Gleichzeitig forderte er seine Landsleute auf, dies nicht mit der EU-Verfassung in Verbindung zu bringen. "Was auch immer mit der Verfassung geschieht - der Euro bleibt, und der Gulden kehrt nicht zurück", erklärte Zalm laut Reuters.
Dennoch ist wie in Frankreich auch in den Niederlanden die Gefahr groß, dass die Debatte um das europäische Vertragswerk von innenpolitischen oder wirtschaftlichen Themen überlagert - und das Referendum von der Bevölkerung als möglicher Denkzettel für die Regierung aufgefasst wird. Die Inhalte des Dokuments kämen in der Diskussion zu kurz, finden Experten. Auf einen Aspekt wies etwa der EU-Menschenrechtskommissar Alvaro Gil Robles hin. Die Verfassung "ist der beste Text im Bereich der Menschenrechte seit 50 Jahren", stellte er fest.