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Wachsender Ärger über Großbritanniens Europa-Skepsis

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

EU-Parlament: "Permanentes Erpressen" nicht mehr gefallen lassen.


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Brüssel. Gerade einmal 42 Kilometer Luftlinie über dem Ärmelkanal liegen die französische Stadt Calais und der englische Hafen Dover auseinander. Und von der EU-Hauptstadt Brüssel ist die britische Kapitale London in zwei Stunden und ein paar Minuten zu erreichen. Dass jedoch den Kontinent und die Insel mehr trennt als in Entfernung und Zeitmaß angegeben werden kann, zeigt sich schon am Gare du Midi. Von Belgiens größtem Bahnhof fahren die Züge nach Frankreich, Deutschland, in die Niederlande oder nach Großbritannien weg. Doch während es für eine Reise nach Paris, Köln oder Amsterdam genügt, eine Fahrkarte zu kaufen, zum Bahnsteig zu gehen und in den Waggon einzusteigen, gibt es vor der Abfahrt nach London noch eine zusätzliche Hürde: die Passkontrolle. Zwei Zöllner sitzen in ihren Glaskabinen und überprüfen die Dokumente der Fahrgäste.

Großbritannien ist nämlich kein Mitglied der Schengen-Zone, wo Reisen ohne Grenzkontrollen möglich ist. Ebenso wenig gehört es dem Euro-Raum an. Auch will es sich nicht dem Fiskalpakt verpflichten, auf den sich die EU-Länder zum Zweck strengerer Haushaltsdisziplin geeinigt haben. Ginge es derzeit nach einem Großteil der Briten, könnte ihre Insel auf die Mitgliedschaft in der Union überhaupt verzichten.

Doch so sehr der innenpolitische Druck seiner EU-skeptischen Landsleute auf Premierminister David Cameron wächst, scheint sich auch auf anderer Seite der Unmut zu vergrößern. Und dieser reicht weit. Zuletzt kam sogar eine Warnung von jenseits des Atlantiks. Washington sähe es nämlich keineswegs gern, wenn London sich von der EU noch mehr distanziert. Stattdessen möchten die USA "eine starke britische Stimme in einer starken Europäischen Union", erklärte der für Europa-Fragen im Außenamt zuständige Staatssekretär Philip Gordon. Denn auch wenn Großbritannien ein enger Verbündeter der USA ist, betonten US-Vertreter in den vergangenen Wochen immer wieder die wachsende Bedeutung der gesamten EU - außenpolitisch, aber auch wirtschaftlich. Einer der Gründe dafür ist ein Freihandelsabkommen, über das die beiden Seiten derzeit verhandeln.

Parallel dazu würde sich so mancher Kontinentaleuropäer eine ebenfalls deutliche Mahnung aus der EU selbst wünschen. "Mittlerweile üben die USA größeren Druck auf Großbritannien aus als die EU", sagt etwa Hannes Swoboda, Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten im EU-Parlament. Er plädiert dafür, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs ihrem Amtskollegen Cameron gegenüber deutliche Worte finden: "Mach dein Referendum oder auch nicht - aber entscheide dich." Ein Volksentscheid über einen Austritt Großbritanniens aus der Union ist nämlich noch nicht fix. Doch nicht zuletzt durch das Kokettieren damit nehme sich Großbritannien aus der Position eines Gesprächspartners heraus, findet Swoboda. Anstelle von Verhandlungen trete "permanentes Erpressen", das sich die anderen Mitgliedstaaten nicht mehr gefallen lassen sollten.

Signal aus Washington

Welchen Effekt nun die Warnung aus den USA haben wird, lasse sich noch schwer abschätzen, meint wiederum Othmar Karas, der Vizepräsident des EU-Parlaments. Jedenfalls sei sie ein starkes Signal an Großbritannien, das endlich seine Rolle definieren müsse. "Europa ist eine Gemeinschaft, in der jeder Mitverantwortung trägt", stellt der ÖVP-Abgeordnete Karas fest. Und wer das nicht möchte, könne nicht überall mitentscheiden.

Die Wege seiner Fraktion und der konservativen Tories haben sich in der EU-Volksvertretung übrigens bereits getrennt. Die britischen Mandatare haben nach der letzten Europawahl die EVP verlassen - weil diese ihnen zu EU-freundlich war.

Die Europäische Kommission hingegen will die Mahnung aus Washington offiziell nicht kommentieren. Doch mit Kritik an der Haltung der Briten hält sie sich mittlerweile nicht mehr zurück - wenn dies auch dezent ausfällt. So umschrieb es Währungskommissar Olli Rehn in der Sprache des Fußballs. Er empfahl den Briten, weiterhin im Mittelfeld zu bleiben, statt sich auf die Bank der Auswechselspieler zu begeben. Von dort werden nämlich keine Tore geschossen.

Sozialkommissar Laszlo Andor wiederum wies vor kurzem darauf hin, dass sich alle Mitglieder an EU-Verträge halten müssen. Die Debatte in Großbritannien, ob das Land neue Beschränkungen auf seinem Arbeitsmarkt für Jobsuchende aus anderen EU-Staaten einführen soll, kommentierte er trocken: "Das darf keine Regierung im Alleingang tun."

An EU-Recht scheint sich London aber sowieso nur in beschränktem Ausmaß gebunden zu fühlen, und etliche Verträge würde es am liebsten geändert oder ungültig sehen. So plädiert Finanzminister George Osborne gern für eine reformierte EU. Dabei bringt er zwar immer wieder seine Hoffnung zum Ausdruck, dass Großbritannien Mitglied der Union bleibe. Doch dafür müsse sich diese eben ändern.